Gai-Jin
zuschreien, er solle den Attentäter brutal umbringen oder dann selbst Seppuku begehen, als er plötzlich die kollektive Feindseligkeit der ihn umgebenden Samurai spürte. Sofort überfiel ihn die gewohnte Angst: Wem kann ich trauen? Nur fünf dieser Männer waren seine Leibwächter.
Er gab vor, die Bitte zu erwägen. Als er seine Wut unter Kontrolle hatte, nickte er, wandte sich ab und stapfte im zunehmenden Regen auf das Burgtor zu. Seine Männer folgten ihm. Die übrigen umringten Jozan.
»Du darfst dich einen Moment ausruhen, Shishi«, sagte der Offizier freundlich und wischte sich den Regen aus dem Gesicht. »Gebt ihm Wasser.«
»Danke.« Jozan hatte sich auf diesen Moment vorbereitet, seit er mit Ori, Shorin und anderen vor vier Jahren geschworen hatte, ›den Kaiser zu ehren und die Fremden zu vertreiben‹. Seine schwindenden Kräfte zusammenraffend, erhob er sich auf die Knie und merkte entsetzt, daß er eine Todesangst vor dem Sterben hatte.
Der Offizier, der die Angst gesehen und sie erwartet hatte, trat rasch einen Schritt vor und hockte sich neben ihn: »Hast du ein Todesgedicht, Shishi? Sag’s mir, nimm dich zusammen, gib nicht nach, du bist ein Samurai, und dieser Tag ist so gut wie jeder andere«, sagte er leise, den Jungen ermutigend, damit seine Tränen aufhörten zu rinnen. »Vom Nichts ins Nichts, ein Schwert tötet deinen Feind, ein Schwert tötet dich. Schrei deinen Schlachtruf hinaus, und du wirst ewig leben. Sag’s jetzt: Sonno-joi… noch einmal…«
Die ganze Zeit hatte er sich vorbereitet. Mit einer unvermittelten, fließenden Bewegung richtete er sich hoch auf, riß sein Schwert aus der Scheide und beförderte den Jungen in die Ewigkeit.
»Eeee«, sagte einer seiner Männer bewundernd, »das war fabelhaft, Uraga-san.«
»Einer meiner Lehrer war Sensei Katsumata von Satsuma«, erklärte er kehlig, während sein Herz so hart klopfte wie nie zuvor. Dennoch war er zufrieden, daß er seine Pflicht als Samurai korrekt erfüllt hatte. Einer seiner Männer hob den Kopf am Haarknoten hoch. Der Regen wurde zu Tränen und wusch die echten Tränen ab. »Säubert den Kopf und bringt ihn Herrn Anjo zur Besichtigung.« Uraga warf einen Blick aufs Burgtor. »Feiglinge widern mich an«, erklärte er und ging davon.
In jener Nacht, als es endlich sicher war, stahlen sich Hiraga und die anderen aus dem Keller hervor, den sie als Versteck gewählt hatten. Auf unterschiedlichen Wegen schlichen sie zum sicheren Haus. Der Himmel war bedeckt und schwarz, es blies ein kräftiger Wind, und vereinzelt regnete es. Mir ist nicht kalt, ich werde mir kein Unbehagen anmerken lassen, ich bin ein Samurai, redete sich Hiraga ein, wie er es, seit er sich erinnern konnte, von seiner Familie gelernt hatte. Genauso werde ich meine Söhne und Töchter ausbilden, dachte er; falls es mein Karma ist, Söhne und Töchter zu haben.
»Es wird Zeit, daß du heiratest«, hatte der Vater vor einem Jahr gesagt.
»Ich stimme zu, Vater. Ich bitte dich respektvoll, deine Absicht zu ändern und mir zu gestatten, die Frau meiner Wahl zu heiraten.«
»Erstens ist es die Pflicht des Sohnes, dem Vater zu gehorchen, zweitens ist es die Pflicht des Vaters, die Ehefrauen seiner Söhne und die Ehemänner seiner Töchter auszuwählen, drittens ist Sumomos Vater nicht einverstanden, sie ist eine Satsuma und keine Choshu, und letztens ist sie, wenn auch begehrenswert, nicht ebenbürtig. Wie ist es mit der kleinen Ito?«
»Bitte, verzeih mir, Vater. Ich weiß, daß meine Wahl nicht perfekt ist, aber ihre Familie ist Samurai, sie ist eine ausgebildete Samurai, und ich bin von ihr besessen. Ich flehe dich an. Du hast noch vier andere Söhne – ich habe nur ein einziges Leben, und wir beide, du und ich, sind der Meinung, daß es sonno-joi gewidmet und daher kurz sein wird. Gewähre mir dies als meinen Lebens Wunsch.« Ein solcher Wunsch war den Bräuchen entsprechend eine überaus ernsthafte Bitte und bedeutete, daß der Bittsteller, falls sein Wunsch gewährt wurde, nie wieder einen anderen aussprechen durfte.
»Nun gut«, hatte der Vater bärbeißig gesagt. »Aber nicht als Lebenswunsch. Wenn sie siebzehn ist, darfst du dich mit ihr verloben. Und ich werde sie in unserer Familie willkommen heißen.«
Das war letztes Jahr. Wenige Tage später hatte er Shimonoseki verlassen – angeblich, um sich dem Choshu-Regiment in Kyōto anzuschließen, in Wirklichkeit, um sich für sonno-joi zu entscheiden und Ronin zu werden und die Lehren aus seiner
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