Gai-Jin
der Handel abgeschlossen wird, ist es das Ende. Angenommen, er ist abgeschlossen – könnten wir die Baumwolle irgendwie abfangen?«
McFay hatte die Augen aufgerissen. »Piraterie?«
»Wenn es nicht anders geht«, hatte Struan gelassen erwidert. »Der alte Brock würde es tun, hat es schon früher getan. Das wäre eine Möglichkeit; die Baumwolle wird mit seinen Schiffen transportiert. Die zweite: Unsere Navy bricht die Blockade der Union. Dann kriegen wir so viel Baumwolle, wie wir wollen.«
»Mag sein, wenn wir der Union den Krieg erklären. Unvorstellbar!«
»Ich bin anderer Ansicht. Mann Gottes, wir sollten Davis zu Hilfe kommen, die Südstaaten-Baumwolle ist unser Lebenssaft. Dann werden die Rebellen siegen, sonst nicht«, hatte Malcolm gesagt.
»Richtig. Aber ebenso sind wir auch vom Norden abhängig. Außerdem hat Mrs. Struan bis jetzt noch keine Beweise.«
»Wie können wir ihm seine Schiffe nehmen? Es muß eine Möglichkeit geben, die Kette zu durchbrechen. Wenn er die Fracht nicht transportieren kann, geht er bankrott.«
»Was würde Dirk tun?«
»Ihn am Lebensnerv treffen«, antwortete Malcolm ohne Zögern.
»Dann müssen wir den finden…«
Was ist Brocks Lebensnerv? fragte er sich abermals, während er still auf seinem Bett lag. Er zwang sich, klar und präzise über dieses Problem und all die anderen nachzudenken. Angélique? Nein, damit werde ich mich später befassen – aber ich weiß, daß ich sie mit jedem Tag mehr liebe.
Zum Glück kann ich jetzt wenigstens Briefe schreiben. Mutter muß ich unbedingt noch einmal schreiben; wenn einer weiß, wo der Lebensnerv sitzt, dann sie. Tyler Brock ist schließlich ihr Vater und Morgan Brock ihr Bruder, aber wie kann sie es wagen, auf Angéliques Familie herabzusehen? Soll ich Angéliques Vater schreiben? Ja, aber noch nicht jetzt.
So viel Post aufzuarbeiten, Bücher aus England zu bestellen, bis Weihnachten ist es nicht mehr lange, der Wohltätigkeitsball im Jockey Club von Hongkong, Struans alljährlicher Ball, muß organisiert werden, die Besprechungen heute: Jamie mindestens zweimal, Seratard heute nachmittag – was will der von mir? Was ist sonst noch für heute geplant? Phillip will nach dem Frühstück zum Plaudern kommen… einen Moment, nein, nein, nicht heute. Sir William hat ihn gestern nach Edo zurückbefohlen, um die Gesandtschaft auf die Verhandlungen mit dem Ältestenrat in zwanzig Tagen vorzubereiten.
»Werden die Verhandlungen tatsächlich stattfinden, Sir William?« hatte er gefragt, als der Gesandte ihn besuchte. Nachdem die Gesandtschaft nicht mehr von der Flotte beschützt wurde und überall ringsum ausgedehnte, wenn auch nicht offen feindselige Samurai-Aktivitäten zu erkennen waren, hatte Sir William es nach ein paar gesichtswahrenden Tagen für richtig befunden, nach Yokohama zurückzukehren, angeblich, um sich auf die Übergabe der Entschädigungssumme vorzubereiten.
»Ich glaube schon, Mr. Struan. Vielleicht nicht pünktlich, aber sicher wird die Zeremonie annähernd zum festgesetzten Zeitpunkt stattfinden, und wir werden einen echten Schritt vorwärts getan haben. Wenn sie die erste Rate von fünftausend Pfund, wie zugesagt, überbringen… nun ja, das wird ein positives Zeichen sein. Übrigens, wie ich hörte, läuft heute einer Ihrer Dampfer nach Hongkong aus. Dürfte ich Sie bitten, daß das Schiff einen Mann aus meinem Stab und einige dringende Post mitnimmt? Meine Frau und meine beiden Söhne werden bald hier eintreffen, deswegen muß ich Vorkehrungen treffen.«
»Selbstverständlich. Ich werde McFay instruieren. Wenn Sie eine Kabine auf einem unserer Schiffe benötigen, um Ihre Familie abzuholen, brauchen Sie es nur zu sagen.«
»Ich danke Ihnen. Wenn sie kommen, möchte ich zwei Wochen Urlaub machen. Man fühlt sich so eingeengt, so eingesperrt hier, finden Sie nicht auch? Ich vermisse das geschäftige Treiben von Hongkong, das ist eine Stadt! Obwohl die Leute in Whitehall sie überhaupt nicht zu schätzen wissen. Hier und da ein gutes Essen mit viel Fleisch, ein Spiel Cricket oder Tennis, ein Theater- oder Opernbesuch und ein paar Tage beim Pferderennen würden mir schon gefallen. Wann werden Sie zurückfahren?«
Ja, wann?
Die Nachricht von unserem Tokaidō-Abenteuer muß vor nahezu einer Woche dort eingetroffen sein – vorausgesetzt, der Postdampfer hat den Sturm überstanden. Mutter wird Zustände gekriegt haben, sich nach außen hin aber nichts anmerken lassen. Wird sie mit dem erstbesten Schiff
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