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Gai-Jin

Gai-Jin

Titel: Gai-Jin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Clavell
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Obwohl er entschlossen gewesen war, sie in Ruhe zu lassen, bohrte er weiter: »Warum war er schrecklich?«
    Mit einem Taschentuch tupfte sie ihre Tränen ab. Ihre Stimme war traurig und ohne Zorn. »André wußte von meinem Vater und meinem Onkel, und er benutzte das und andere Dinge, um mich… in seine Schuld zu bringen. Dauernd verlangte er Geld von mir, das ich nicht hatte, machte wilde Versprechungen und, um ehrlich zu sein, drohte mir auch.« Fragend sah sie ihn an. Sie war jetzt ganz offen, so dankbar, daß die Mutter Gottes sie und ihn befreit hatte. Die Vergangenheit und aller Schmutz waren mit ihm gewichen. »Es war Gottes Wille«, fuhr sie inbrünstig fort. »Ich bin froh und traurig. Warum können wir nicht das Böse vergessen und uns nur an das Gute erinnern – es gibt genug Böses in der Welt, um unser Vergessen auszugleichen, finden Sie nicht auch?«
    »Ja«, sagte er tief betroffen, und seine Blicke wanderten zu Wertinskayas Miniatur. »O ja.«
    Daß er Gefühle zeigte, was bei ihm selten war, löste in Angélique etwas aus, und ehe sie sich versah, sprach sie ihre tiefste Angst aus. »Sie sind klug, und ich muß es jemandem sagen, ich fühle mich eigentlich sehr gut, aber etwas macht mir Sorgen: Malcolm. Ich habe einfach nichts von ihm übrigbehalten, keinen Namen, keine Daguerreotypie – unsere, die wir anfertigen ließen, gelang nicht –, kein Porträt, und anscheinend kann ich mich an seine Züge nicht mehr erinnern. Jeden Tag scheint es ein wenig schlimmer zu werden.«
    Ihre Tränen strömten leise, während sie vor ihm saß, und er hatte nicht die Kraft, sich zu bewegen. »Es ist fast, als hätte es ihn nie gegeben, und diese ganze Reise und die Zeit in Yokohama ist wie ein… ein théâtre macabre. Ich bin verheiratet und auch wieder nicht, man beschuldigt mich schrecklicher Dinge, die nie passiert sind oder nie beabsichtigt waren, ich bin unschuldig und auch wieder nicht, ich werde von Tess gehaßt, und dabei wollte ich doch nur das Beste für Malcolm, o ja, ich wußte, daß er sehr vornehm war, mein Vater aber nicht, und ich glaube nicht, daß ich ihn verletzt habe, er liebte mich und wollte mich heiraten, und ich versuchte mein Bestes, das schwöre ich, und jetzt, da er tot ist, versuche ich so sehr, vernünftig zu sein… Ich bin allein, er ist fort, und ich muß an die Zukunft denken, ich habe Angst, ich war ein Kind, als ich ankam, jetzt bin ich anders, alles geht zu schnell, und das Schlimmste ist, daß ich mich nicht an sein Gesicht erinnern kann.«
    Für einen Augenblick verharrten sie wie zwei reglose Statuen. Dann stand Angélique still auf und verließ das Zimmer.
    »Ma’sser?«
    »Ja, Lim?« Sir William kam mit einem Ruck wieder zu sich.
    »Dinner fertig, wenn wollen.«
    »Danke.« Seit Angélique vor einer halben Stunde gegangen war, hatte er sich nicht gerührt. Seine Träumerei hatte ihn in seine Jugend zurückgeführt, nach St. Petersburg, in sein dortiges Haus und den Garten. Im Frühling und Sommer, im Herbst und Winter hatte er dort mit Wertinskaya gelacht, sie geliebt … Dann nach England und zu seiner Mutter, auf die Schlachtfelder der Krim, wirbelnde, dunkle Abschnitte seines Lebens, die ihn erschreckten.
    Er war froh, daß Lim ihn in die Normalität zurückgeholt hatte. Sein Blick wanderte durch das Zimmer, zum Feuer, zum Beistelltisch und dann zum Schreibtisch mit der Akte, zu dem liebreizenden jungen Gesicht auf der Miniatur, das ihn anlächelte. Sein Herz brach, wie immer, und heilte sich dann selbst. Jedesmal ein bißchen unvollkommener.
    Wenn ich ihr Porträt nicht hätte, hätte ich dann ihr Gesicht auch vergessen, so wie Angélique das von Malcolm? »Darauf habe ich keine Antwort, Wertinskaya, mein Liebling«, sagte er traurig, den Tränen nahe. »Dein Gesicht vielleicht – aber dich nie, dich niemals.«
    Er seufzte tief auf. Zurück an die Arbeit, befahl er sich. Kümmere dich um dieses Problem, damit du dich wichtigeren Dingen zuwenden kannst wie Yoshi und dem bevorstehenden Krieg gegen Satsuma…
    Der korrekte Umgang mit Andrés Akte besteht darin, sie zu versiegeln, einen vertraulichen Bericht zu schreiben, in dem steht, was wann passierte, was gesagt wurde und von wem, und dann alles nach London zu schicken, damit dort entschieden wurde. Das Foreign Office hat Unmengen von Geheimnissen in seinen Gewölben und Archiven.
    Das ist der korrekte und richtige Weg.
    Sicher, die richtige Entscheidung zu treffen, nahm er dann die Seiten zur Hand und warf eine

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