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Gai-Jin

Gai-Jin

Titel: Gai-Jin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Clavell
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oder Kyōto, wo ihr Oberpriester lebt, mikado genannt. So heilig und so geheim ist diese Stadt, daß sie für alle bis auf ein paar ganz besondere Japaner verboten ist.«
    »Diplomaten dürfen landeinwärts reisen«, widersprach Tyrer scharf. »Das steht im Vertrag, Mr. Canterbury.«
    Der Kaufmann nahm den Seidenzylinder ab, auf den er außergewöhnlich stolz war, und trocknete sich die Stirn – fest entschlossen, sich durch diesen jungen Mann nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Du eingebildeter, kleiner Mistkerl mit deiner hochnäsigen Stimme, dachte er. Mit den Händen zerquetschen könnte ich dich und dabei nicht mal furzen müssen. »Kommt ganz drauf an, wie man den Vertrag interpretiert und ob Sie den Kopf auf den Schultern behalten wollen. Ich würde Ihnen raten, das vereinbarte sichere Gebiet nicht zu verlassen, und das sind ein paar Meilen nordwärts und südwärts und landeinwärts, was immer im Vertrag stehen mag – vorläufig jedenfalls, und nicht ohne ein oder zwei Regimenter.« Trotz seines guten Vorsatzes war er von der geschwungenen Kurve ihrer vollen Brüste unter der grünen, enganliegenden Jacke fasziniert. »Wir sind hier leider festgenagelt, aber das ist nicht weiter schlimm. Genauso wie in unserer Niederlassung bei Nagasaki, zweihundert leagues weiter westlich.«
    »›Leagues‹? Das verstehe ich nicht«, sagte sie und verbarg geschickt ihre Belustigung und Freude über die Gelüste der Männer, die sie umgaben. »Bitte?«
    »Eine league sind annähernd drei Meilen, M’selle«, erklärte Tyrer wichtigtuerisch. Er war hochgewachsen und geschmeidig, erst jüngst von der Universität gekommen und hingerissen von ihren blauen Augen und ihrer Pariser Eleganz. »Was, äh, sagten Sie, Mr. Canterbury?«
    Der Kaufmann riß seine Aufmerksamkeit von ihrem Busen los. »Nur, daß es auch nicht viel bringen würde, wenn die anderen Häfen geöffnet würden. Wenn wir einen richtigen Handel aufbauen wollen, werden wir sehr bald auch aus ihnen ausbrechen müssen, was das auch bedeuten mag.«
    Tyrer warf ihm einen scharfen Blick zu. »Sie meinen Krieg?«
    »Warum nicht? Wozu sind die Flotten da? Und die Armeen? Es funktioniert doch wunderbar – in Indien, China, überall. Wir sind das britische Empire, das größte und beste, das es jemals auf Erden gegeben hat. Wir sind hier, um Handel zu treiben, und zugleich können wir ihnen Recht und Ordnung beibringen und eine anständige Zivilisation.« Verärgert über die Feindseligkeit auf der Straße warf Canterbury einen Blick zurück. »Häßliches Volk, nicht wahr, Miß?«
    »Mon Dieu, ich wünschte, sie würden uns nicht so anstarren.«
    »Ich fürchte, daran werden Sie sich gewöhnen müssen. Es ist überall dasselbe. Wie Mr. Struan sagte, in Hongkong ist es am schlimmsten. Trotzdem, Mr. Struan«, fuhr er mit unvermittelter Hochachtung fort, »möchte ich Ihnen sagen, was wir hier brauchen, ist unsere eigene Insel, unsere eigene Kolonie, und nicht einen fauligen, stinkigen Meilenstreifen verrotteter Küste, der nicht zu verteidigen ist und sofort Opfer eines Überfalls sein würde, wenn wir unsere Flotte nicht hätten! Wir sollten uns auch so eine Insel holen, wie sich Ihr Granddad, Gott segne ihn, damals Hongkong geholt hat.«
    »Möglicherweise werden wir genau das tun«, gab Malcolm Struan zuversichtlich zurück, voll dankbarer Erinnerung an seinen berühmten Vorfahren, den Tai-Pan Dirk Struan, Begründer ihrer Compagnie und Hauptgründer der Kolonie Hongkong vor über zwanzig Jahren anno ‘41.
    Ohne zu wissen, was er tat, holte Canterbury seinen kleinen Flacon heraus, setzte ihn an und trank; dann wischte er sich mit dem Handrücken über den Mund und steckte den Flacon wieder ein. »Reiten wir weiter, ich werde führen. Falls notwendig, reiten wir einer hinter dem anderen, und vergeßt die Japse! Mr. Struan, Sie reiten vielleicht neben der jungen Lady, und Mr. Tyrer, Sie übernehmen den Schluß.« Höchst zufrieden mit sich selbst spornte er sein Pferd zu einem flotten Schrittempo an.
    Als Angélique neben ihm aufholte, erschien ein Lächeln auf Struans Gesicht. Er war vom ersten Moment an, als er sie vier Monate zuvor in Hongkong kennengelernt hatte, vom ersten Tag an, als sie eingetroffen war, um die Insel im Sturm zu erobern, unverhohlen in sie verliebt gewesen. Blondes Haar, makellose Haut, tiefblaue Augen und eine hübsche Stupsnase in einem ovalen Gesicht, das durchaus nicht niedlich war, sondern eine seltsame, atemberaubende Attraktion

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