Gaisburger Schlachthof
unter anderem Öl abbauen kann. In Südameri ka hat wohl eine Abart dieses Erregers namens Julja Jacko schwere Infektionskrankheiten ausgelöst.«
Ich schaltete mein Gehirn auf Recherchemodus und verge genwärtigte mir das Druckbild von Julja Jacko. Im Spani schen setzte man für das J ein Doppel-L und für das CK ein C. Und das hatte ich schon gelesen: »Llullaillaco, das Dorf in den Anden, das von einem rätselhaften Erreger beinahe ausgerot tet wurde.«
Richard runzelte die Stirn und belehrte mich: »Der Llullaillaco ist ein Vulkan in Argentinien an der Grenze zu Chile. Und jetzt möchte ich wissen, wo du diese Packung herhast.«
»Von Gertrud. Sie hat sie in ihrem Schreibtisch aufbewahrt. Deshalb habe ich dich am Donnerstag versetzt. Es hat etwas Zeit in Anspruch genommen, ihr diese Schachtel abzuluchsen.«
Richard zog die Brauen zusammen und nahm sich Zeit, das ganze peinliche Abenteuer mit Gertrud aus mir herauszufragen.
»Mir hat Weininger, als er am Freitagnachmittag zu mir kam, aber etwas ganz anderes erzählt.«
Ich versuchte mit einem Grinsen an unsere Weiningers Besuch vorangegangene intime Schweinerei zu erinnern, aber der Mann trennte Privates vom Beruflichen.
»Demnach«, sagte er, »hast du Gertrud bedroht und ihr das Mobiliar zerschlagen.«
»Und du hast selbstverständlich angenommen, dass es nur so gewesen sein kann, und Weininger empfohlen, mich festzunehmen.«
»Nein, Lisa. Ich habe mich enthalten, irgendetwas anzunehmen. Außerdem habe ich Weininger darauf hingewiesen, dass Gertrud wohl kaum zu mir auf den Parkplatz herausgekommen wäre, um dich zu entschuldigen, wenn sie sich von dir bedroht gefühlt hätte. Allerdings habe ich den Eindruck gewonnen, dass Weininger hinter dir her war, weil er zu vermuten begonnen hatte, dass wir beide, du und ich, etwas miteinander haben, und er hoffte, mich auf diese Weise dranzukriegen. Deshalb sah ich mich zu äußerster Zurückhaltung veranlasst.«
»Aber du hättest mich wenigstens vorwarnen können!«
Richard schwieg. Sein spontaner Wochenendbesuch bei seinen Eltern in Balingen nahm die Färbung einer Flucht an. Der Oberstaatsanwalt durfte seine Freundin nicht vor den Ermittlungen seiner Kollegen warnen. Um jeglicher Versuchung zu entgehen, war er für mich kurzerhand aus allen Telefonverbindungen verschwunden.
»Und wo hatte Christoph Weininger den Haftbefehl her?«, erkundigte ich mich.
»Das weiß ich nicht. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass ein Richter einen Haftbefehl unterschrieben hat, falls das, was Weininger dir vorgelegt hat, wirklich einer war.«
»Verstehe. Rotes Papier ist auch geduldig. Und jetzt? Was passiert jetzt?«
Richard suchte Rat bei seiner Zigarettenschachtel.
»Okay«, sagte ich, »dann schlage ich vor, dass wir zum Pressehaus hinauffahren.«
»Und warum das?«
»Weil ich hier weder Computer noch Archiv habe, darum. Oder weißt du noch mehr über den Llullaillaco-Erreger?«
Richard schüttelte den Kopf. Er war ein sperriger Mann, der sich ungern die Direktive aus der Hand nehmen ließ. Nur dass er im Moment wenig Einfluss auf den Gang der Dinge nehmen konnte. Jedenfalls sträubte er sich nur kurz. Dann saßen wir in seinem perlgrauen Mercedes und stauten uns durch den Nachmittagsverkehr die Weinsteige hinauf.
»Ich glaube nicht, dass uns der Llullaillaco-Erreger weiter bringt.« Richard neigte zum Pessimismus, wie ich später lern te. Außerdem hatte er gern hinterher recht, wenn eine langwieri ge Recherche nichts ergab. Die kleine Pressemitteilung in meinem Material über Körperkultur brachte in der Tat nicht mehr Information, als dass ein Impfstoff gegen den Llullaillaco-Erreger gefunden worden sei, der zuletzt vor zehn Jahren ein Dorf in den Anden fast ausgerottet hatte.
Also hinab ins Pressearchiv.
Es lässt sich heute kaum noch nachvollziehen, warum ich mit Richard zuerst hinunter ins Archiv ging und erst danach ins Internet. Aber damals misstraute der ernsthafte Journalist – der Staatsanwalt sowieso – den Informationen des weltweiten Netzes. Und er – vielmehr ich – war einfach noch zu ungeübt im Googeln.
Der Staatsanwalt war triste lichtlose Räume gewohnt, und Schränke mit Papier gefielen ihm sogar. Für Karin Becker war der kleine elegante Herr mit den guten Manieren ein schlagendes Argument, über sich selbst hinauszuwachsen. Die Hoffnung, im Stuttgarter Anzeiger mehr als einen Fünfzeiler zu finden, war gering, aber auch die großformatigen überregi onalen Zeitungen hatten aus dem
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