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Galgeninsel

Galgeninsel

Titel: Galgeninsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Maria Soedher
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wenig nach hinten wippte. Es war deutlich, dass sie ihm eine Frage gestellte hatte, welcher sie durch den Druck ihrer Hände Nachdruck verlieh. Er verneinte diese Frage, wie Schielin sah.
    Also ein Paar sind sie nicht, dachte Schielin. Aber er hat Vertrauen zu ihr, was seiner Körpersprache zu entnehmen war. Und sie war diejenige von beiden, die die Kontrolle ausübte. Ja vielleicht hatte sie sogar Macht über ihn.
    Lydia betrat das Büro, er hörte es an ihren Schritten. Im gleichen Augenblick fuhr ein Taxi in den Hof und nahm die beiden mit. Schielin stöhnte. »Sackgasse.«
    *
    Es war Abend. Trotz beständigem Wind, der über die vergangenen Tage hinweg mehr und mehr Kühle mitbrachte, drängten Autos, Radfahrer und Fußgänger über die Seebrücke der Insel zu. Die windgeschützten Gassen wurden voll mit bunten Kleidern, interessierten Blicken und Geräuschen entspannten Lebens. Dann füllten sich Restaurants, Cafés und Kneipen, vorzugsweise entlang des Hafenbeckens. Dort legte gerade die Aargau. ab, wendete gekonnt im engen Hafenbecken und verließ Lindau auf der letzten Fahrt des Tages, nach Hause in die Schweiz. Über Leuchtturm und Löwe lag das dumpfe Blubbern langsam drehender Schiffsdiesel und aus dem Gewirr von Reden, halblautem Lachen und dem Klirren und Klingen von Gläsern und Geschirr drangen die Klänge eines Orchesters.
    Kleine Besetzung, dachte die Männergestalt, die an der Reling der Aargau lehnte, in den Abend lauschte und der friedfertig belebten Hafenpromenade, wie dem bayerischen Löwen einen langen Blick gönnte.
     
    Die Runde, die sich im Besprechungsraum der Lindauer Kripo zusammengefunden hatte, war nicht nur in Metern gemessen weit vom Hafen entfernt. Es war weder kuschelig, noch gab es einen Ausblick zu genießen. Auf dem großen Tisch lagen Akten und Papiere in geordnetem Durcheinander. Schielin sah schweigend an die Wand. Lydia kritzelte ihre Unterschrift auf einen Stapel von Ausdrucken. Funk blätterte in einem Aktenordner. Kimmel sah ernst von einem zum andern und Gommert, ja, Gommert saß mitten drin und genoss es. Er war der einzige, der es genoss, in dieser Runde zu sitzen. Er spürte, dass etwas Ernsthaftes den Raum füllte. Und er spürte, dass dies ein Augenblick war, in dem er unter allen Umständen den Mund halten musste. Es war nicht so, dass er dies so dachte. Es war Intuition. Er hatte diese Intuition und ihm war klar, das er nicht einen Ton sagen würde, es sei denn – und dies war unwahrscheinlich – jemand bat ihn darum. Gut dass er nicht wusste, welche Gedanken den anderen durch den Kopf gingen. Schielin war gerade damit fertig geworden, die Ergebnisse des Tages für sich zusammenzufassen, als er dachte, hoffentlich hält Gommi die Klappe.
    Funk startete mit einem eigentümlichen Einwurf: »Also wenn ich so um mich schaue, dann finde ich schon, dass wir mal wieder was Junges brauchten, oder? Wir sind doch völlig überaltert.«
    Gommert sah erschrocken auf. »Wie? Überaltert?«
    Schielin stimmte Funk zu. »Hast schon recht. Wir sind eine richtige ZDF-Belegschaft.«
    Funk sah ihn irritiert an.
    »Na ja«, erklärte Schielin, »der Altersschnitt der ZDF-Gucker eben.«
    Funk lächelte. »Ach so. Aber das geht ja dann noch. Das ist ja schließlich die Bevölkerungsgruppe, die noch lesen, schreiben und rechnen kann, oder?«
    Die beiden lachten. Gommert kapierte nichts und meinte: »Also was ihr nur habt. Wir haben doch Lydia.«
    Die war dem Gespräch bisher nur halb interessiert gefolgt, jetzt aber voll bei der Sache, und sagte abschätzig: »Danke Gommi – für dieses tolle Kompliment.«
    Gommert fühlte sich missverstanden.
    Schielin lachte trocken. »Ja. Lesen, schreiben und rechnen. Und für die anderen, die überhaupt nichts können, hat man andere Kriterien erfunden. Dieses Kompetenzgesülze. Emotionale Kompetenz, Soziale Kompetenz …«
    Gommert liebte Fremdworte und traute sich wieder. »Was ist denn emotionale Kompetenz?«
    »Wenn du gut betroffen sein und im richtigem Moment weinen kannst«, erklärte Funk ironisch.
    Gommert sah ihn wortlos an.
    Funk setzte fort: »Und soziale Kompetenz bedeutet, mit anderen auszukommen.«
    Alle beobachteten, wie Gommert ernsthaft nachdachte.
    Kimmel wollte keinen betroffenen und weinenden Gommert und beendete daher das kleine Scharmützel, das ihm ansonsten gar nicht schlecht gefallen hatte. Er wollte einen Lagebericht und bekam ihn von Schielin.
    »Wir wissen, dass Anna Kandras seit ihrer Trennung von ihrem Mann alles

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