Ganz die Deine
musste ein graues Auto sein. Stinknormal, so wie sie in Buenos Aires an jeder Ecke zu sehen sind. Genau wie die kastanienbraune Perücke. Es gab eins. Ohne Klimaanlage. Das war mir egal – als ob es zu diesem Zeitpunkt darauf angekommen wäre! Ich mietete es. Ich zahlte bar. Der reinste Diebstahl, wer hierzulande ein Auto mietet, lässt sich unweigerlich ausplündern. Als ich dachte, wir seien fertig, bat mich der dämliche Angestellte noch, einen Garantiegutschein der Kreditkarte zu unterschreiben. Das gefiel mir nicht. Ich wollte keine Spuren hinterlassen. Weswegen hatte ich denn bar bezahlt? Ich sagte Nein. Eine Weile stritten wir herum. Stimmt nicht: Mit Idioten kann man nicht streiten. Ich hatte eben noch nie ein Auto gemietet. Na und? »Das ist Vorschrift«, sagte der Mann und fügte hinzu: »Dafür kann ich nichts.« – »Dafür kannst du mich kreuzweise!«, giftete ich ihn an, von irgendwelchen diplomatischen Finessen hatte ich endgültig die Schnauze voll. Ich hätte den Mann umbringen können. Trotzdem unterschrieb ich den Gutschein und bekam dafür die Schlüssel und die Papiere. Ich ging ins Tiefgeschoss und bestieg den Wagen. Bevor ich losfuhr, entfernte ich alle sichtbaren Kennzeichen der Autovermietung und warf sie aus dem Fenster.
Ich schob mir vor dem Rückspiegel die Perücke zurecht.
Und los ging es.
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Fotokopie aus einer in Spanien erschienenen Sammlung von Beiträgen zum 12. Landeskongress für Angewandte Psychologie im Jahr 1995. Der ausgewählte Beitrag hat den Titel: »Einführung in die Daktylo-Psychologie. Probleme der Klassifizierung psychischer Eigenschaften«. Als Autoren firmiert eine Gruppe spanischer Psychiater. Die Kopie befand sich im Handschuhfach des von Inés Pereyra gemieteten Wagens. Sie weist keine Anmerkungen auf.
L’uomo delinquente. So lautet im Original der Titel eines von dem Italiener Cesare Lombroso veröffentlichten Werkes. Lombroso, ein ehemaliger Militärarzt, untersuchte während seiner Zeit als Leiter der Geistesheilanstalt von Pesaro über sechstausend Menschen, die Verbrechen begangen hatten, und stieß dabei auf bestimmte – angeblich immer wieder auftretende – Charaktermerkmale und physische Eigenschaften.
Für Lombroso wies der typische Kriminelle einen breiten Kiefer, große Ohren, lange Arme und hohe Wangenknochen auf Gemäß Lombrosos Untersuchungen hatten Brandstifter für gewöhnlich kleine Köpfe. Betrüger waren oft kräftig und hatten einen breiten Kiefer und hohe Wangenknochen. Taschendiebe hatten lange Arme, waren im Allgemeinen hoch gewachsen und dunkelhaarig.
Es gab noch andere Untersuchungen in dieser Richtung.
Der Wiener Arzt Franz Josef Gall entwickelte eine Theorie über die »Phrenologie«, die seinerzeit weithin Anerkennung fand. Dieser Theorie zufolge ließen sich aufgrund der Schädelform eines Menschen Aussagen über dessen Charakter machen. Für Gall war alles, was mit Heim und Familienbildung zu tun hatte, im hinteren Teil des Schädels konzentriert; die intellektuellen Fähigkeiten im Stirnbereich; Großzügigkeit im oberen Bereich und Egoismus resp. Egozentrik an den Seiten. Die Anhänger dieser Theorie unterschieden mehr als vierzig typische Merkmale und behaupteten, es genüge, einen Schädel gründlich zu vermessen, um zu wissen, ob man es mit einem hartnäckigen Trinker, zwanghaften Spieler oder einem gewöhnlichen Räuber zu tun habe.
Lombrosos und Galls Theorien wurden nach und nach von der Realität widerlegt. Dennoch, und obwohl sich ihre Beweismethoden als unhaltbar erwiesen, begegnet man ihren Kernaussagen bis zum heutigen Tage. Neben Psychoanalytikern versuchen nicht bloß in der Rechtsmedizin tätige Menschen, sondern auch interessierte Laien, weiterhin Grundmuster zu bestimmen, welche Rückschlüsse darüber zulassen, wer als potenzieller Verbrecher zu betrachten sein könnte und wer nicht. Oder als potenzieller Mörder.
Am erstaunlichsten daran ist vielleicht, dass es weniger darum geht, diese Anlage womöglich im anderen zu entdecken, als vielmehr in einem selbst.
Es geht um die Gewissheit, ausschließen zu können, dass man sich jemals in eines dieser kleinen Ungeheu er verwandeln könnte.
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Ich fand einen geeigneten Parkplatz, ungefähr zwanzig Meter vor dem Eingang zu dem Gebäude von Ernestos Büro, an der Ecke, auf derselben Straßenseite. Kurz vor der Garagenausfahrt. Ich setzte mir eine Sonnenbrille auf, die ich auf dem Weg von Geldautomat vier zu Geldautomat fünf an der Straße gekauft hatte.
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