Ganz die Deine
ich mich traurig und lustlos und hätte am liebsten grundlos angefangen zu weinen. Da stieß ich in einer Finanzzeitung auf die Ausschreibung eines Literaturwettbewerbes in Spanien. In diesem Moment hörte ich mich zu mir selbst sagen – es war wie eine Offenbarung –: »Ich bitte um Urlaub und mache das, wozu ich am meisten Lust habe: Schreiben.« Schreiben und Lesen. Nach meiner Rückkehr nahm ich tatsächlich Urlaub und schloss mich ein, um meinem Verlangen nachzugeben. Ich schrieb an einer Erzählung und las Baudelaire, um mich inspirieren zu lassen, und das Wörterbuch, um die Wörter zu finden, die mir fehlten. Von da an hatte der Weg keine Kreuzungen mehr, er führte mich fast immer geradeaus in eine Richtung: zur Literatur.
Der italienische Autor Ferdinando Camon wurde einmal gefragt, weshalb er schreibe. Seine Antwort war: »Ich schreibe aus Rache. Ich empfinde diese Rache immer noch als gerecht, heilig und ehrenhaft. Meine Mutter konnte nur ihren Namen schreiben. Mein Vater knapp etwas mehr. In dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, unterschrieben die Analphabeten mit einem Kreuz. Wenn sie ein Schreiben von der Gemeinde, dem Militär oder der Polizei erhielten (niemand sonst hat ihnen je geschrieben), erschraken sie und gingen zum Pfarrer, um es sich vorlesen zu lassen. Seitdem ist die Schrift für mich ein Machtinstrument. Ich habe immer davon geträumt, auf die andere Seite zu wechseln, die Schrift zu besitzen – jedoch, um sie zum Vorteil derer zu nutzen, die sie nicht kennen, und so ihre Rache für sie zu übernehmen.« Ein bisschen etwas von dem, was Camon sagt, trifft auch auf mich zu. Nur wäre vielleicht das Wort, das ich wählen würde, »Revanche« anstelle von »Rache«. Es beinhaltet das Gefühl, dass es immer eine Chance gibt, wenn man nur daran glaubt, dass es eine Chance gibt.
In: Nuevas Hojas de Lectura, Nr. 9,
Bogota, Kolumbien
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