Ganz oder gar nicht
verlassen. Ich arbeite ja mit ihm zusammen, also muss ich es wissen", fügte sie eifrig hinzu.
„Ihr arbeitet zusammen?"
„Najib leitet das Staatliche Museum und außerdem noch ein paar kleinere Einrichtungen. Er arbeitet auch viel im Westen und versucht, von dort, Kunstgegenstände, die im achtzehnten, neunzehnten - und auch im zwanzigsten! - Jahrhundert geraubt wurden, zurückzuholen, wenn nötig gegen Bezahlung. Er und Gazi arbeiten dabei oft zusammen. Gazi ist ja für unsere ganze Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Ja, ich sehe Najib sehr oft. Ich bin für die Einrichtung des neuen Flügels zuständig, der Alexander dem Großen gewidmet ist. All die Sachen, die in Iskandiyar ausgegraben worden sind, sollen dort ausgestellt werden."
Rosalind sah Zara ungläubig an. „Ich weiß, dass Najib ein Agent ist, Zara. Meinst du, seine Arbeit für das Museum dient zur Tarnung?"
„Aber, nein." Zara schüttelte den Kopf. „Er ist kein Agent, das weiß ich genau. Allerdings tun Tafelgefährten des Prinzen, was auch immer politisch notwendig ist, und im Moment steht wohl sehr viel auf dem Spiel. Es gibt gewisse politische Angelegenheiten, die Rafi selbst mir verschweigt, aber ich glaube, es hat etwas mit Ghasib zu tun. Najibs Erfahrungen aus dem Krieg sind dabei anscheinend besonders wertvoll." Rosalind sagte nichts dazu.
„Weißt du, dass Najib im Kaljuk-Krieg gekämpft hat?" „Ja, er hat es einmal erwähnt."
„Als er hörte, dass Prinz Omar eine Armee aufstellen würde, erklärte er Rafi, dass er mit ihm gehen wolle. Sein Vater war nämlich aus Parvan. Er ist also väterlicherseits verwandt mit den Durranis."
Das Baby verlangte unmissverständlich Nahrung. Zara küsste und liebkoste den Kleinen und öffnete ihre Bluse. Sie lächelte Rosalind glücklich an. „Hast du Sam auch gestillt?"
Rosalind schluckte. „Nein, ich ... ich wollte, aber es ging nicht."
„Oh, wie schade", erwiderte Zara teilnahmsvoll. „Vielleicht beim nächsten Kind." „Ich hoffe es."
Plötzlich war das Baby eingeschlafen. Zara versuchte, es von ihrer Brust zu lösen, doch da begann es sofort wieder, heftig zu saugen.
„Es wird ein ganz großartiger Exklusivbericht werden - zum ersten Mal werden Fotos aus Prinz Rafis Palast erscheinen, und dann auch noch anlässlich der romantischen Wiederheirat zwischen einem Tafelgefährten des Prinzen und dessen verloren ge glaubter Frau", sagte Zara. „Das Magazin muss dafür eine enor me Summe für die parvanische Kriegsopferfürsorge spenden. Gazi sagt, wenn sie nicht entsprechend zur Kasse gebeten werden für dieses Privileg, dann würdigen sie es nicht genügend. Er will die bestmögliche Berichterstattung sicherstellen."
Nein, dachte Rosalind, ich kann die Sache nicht mehr stoppen.
„Ich muss dir etwas sagen, Najib."
„Und ich muss dir etwas sagen", erwiderte er und nahm Rosalinds Hand. Über ihnen spannte sich der sternenübersäte Nachthimmel. In der Ferne berührte der Mond gerade den Gipfel des Berges Shir. Sie gingen einen kleinen Hügel hinauf und setzten sich auf einen Stein. Von dort konnten sie hinab auf den von tausend Lichtern erleuchteten Palast sehen.
„Soll ich zuerst sprechen, Rosalind? Ich möchte dir sagen, dass es mir Leid tut. Du hattest ja so Recht.
Ich habe wirklich einen Fehler gemacht, als ich davon ausging, dass du mir Lügen erzählst. Als ich deinem Rat folgte, einfach zu glauben, dass du mir immer die Wahrheit gesagt hast, da sah ich sie plötzlich, die Wahrheit - die einzig mögliche Antwort auf alle offenen Fragen." „Wirklich?" flüsterte sie.
„Ich verstehe auch, weshalb du es mir nicht selbst sagen konntest. Ich war ja so dumm, Rosalind. Es ist doch offensichtlich. Lamis ist die Antwort, nicht wahr? Sam ist das Kind meiner eigenen Schwester."
Rosalind und Lamis hatten sich von Anfang an gut verstanden, und der Tod Jamshids hatte sie noch enger zusammengeschweißt. Rosalind hatte durchaus bemerkt, dass Lamis etwas auf der Seele lastete, doch diese sprach nie ein Wort darüber. Erst als jener unglückselige Brief von Jamshids Großvater gekommen war, hatte Lamis ihr ihr Herz ausgeschüttet.
„Jetzt wirst du verstehen, Rosalind. Jetzt kannst du dir vorstellen, was mir bevorsteht." Mit diesen Worten hatte sie angefangen und dann alles erzählt.
Der Mann, den sie geliebt hatte, der ihr versichert hatte, dass er sie und ihre religiösen Prinzipien respektiere, hatte sie am Ende doch mit Gewalt genommen. Und sie war schwanger geworden.
Angst und
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