Ganz oder Kowalski
wohlvertraute Bimmeln der Türglocke ertönte und sie ankündigte. Bei Haushaltswaren Walker gab es keinen nervtötenden Summer.
Russell saß hinter dem Verkaufstresen auf einem Hocker und las die Zeitung. Seine Brille thronte auf seiner Nasenspitze. Als die Klingel ertönte, blickte er auf. Er nahm die Brille ab, und ein warmherziges Lächeln erstrahlte auf seinem noch immer gut aussehenden Gesicht, das von dichtem silbergrauen Haar umrahmt war.
„Cat! Ich habe schon gehört, dass du zu Besuch bist.“ Er erhob sich und faltete die Zeitung zusammen. „Florida bekommt dir offensichtlich gut.“
Er war immer ein Charmeur gewesen, doch mit ihren fünfundsechzig Jahren hatte sie eigentlich geglaubt, dagegen immun zu sein. Sie hatte sich geirrt, wie sie jetzt feststellte. „Danke, Russell. Wie geht es dir?“
Er zuckte mit den Achseln und wies mit einer Hand auf die fast leeren Regale, auf denen rote Ausverkauf-Schilder standen. „Wenigstens bin ich gesund.“
„Es tut mir so leid.“
„So etwas passiert. Ich kann einfach nicht mit den großen Kaufhäusern konkurrieren. Die Leute haben versucht, mich zu unterstützen. Wenn sie nur eine Rolle Klebeband brauchten oder eine Sicherung oder eine Gartenschere, sind sie hierhergekommen. Aber die Zeiten sind hart, und ich kann es den Leuten nicht verübeln, dass sie versuchen, ihr weniges Geld zusammenzuhalten und zu sparen. Ich bin erleichtert, dass ich meine Tochter nicht zu sehr gedrängt habe, das Geschäft zu übernehmen, als sie mir eröffnet hat, Tierärztin werden zu wollen.“
„Was machst du jetzt?“
„Das Haus steht zum Verkauf, damit ich ein paar Schulden begleichen kann. Also stehe ich auf der Warteliste für eine Wohnung in einem Seniorenwohnheim.“ Er hielt inne, und Trauer überschattete seine Züge. „Ein bisschen mehr als einhundertunddreißig Jahre lang hat meine Familie dieses Geschäft geführt, und in ein paar Monaten gehört mir nicht einmal mehr das Schwarze unter den Fingernägeln.“
Cat wusste nicht, was sie sagen sollte. Eigentlich gab es auch nicht vieles, was sie hätte sagen können . „Lass dich von mir zum Essen entführen. Wir bestellen uns etwas mit besonders viel Fett und Cholesterin und Natrium – warum denn nicht?“
Die Einladung schien ihn zu überraschen, doch er hatte sich schnell wieder gesammelt. „Ich musste meinen Teilzeitangestellten im vergangenen Jahr entlassen. Ich kann hier nicht einfach so weg.“
„Was sollen die Kunden schon machen, wenn du dir mal eine Stunde nimmst, um eine Mittagspause einzulegen? Zu einem anderen Geschäft abwandern?“
Sein Lachen klang warm und hallte durch den kargen Laden. „Ich schätze, du hast recht. Und ich könnte jetzt wirklich mal ein fröhliches Gesicht vertragen.“
„Dann häng ein Schild an die Tür, schließ ab, und dann los.“
Sie gingen zu einem Café am Ende der Straße, das das einzige Lokal in der näheren Umgebung war, und suchten sich einen Tisch in einer ruhigen Ecke. Beide bestellten sich Kaffee, und Russell entschied sich für das Brathähnchenangebot, während Cat ein Omelett mit Hackfleisch und Käse nahm.
„Wie geht es Emma? Ich habe sie ein paar Wochen lang nicht gesehen, aber du musst doch sehr froh sein, dass sie endlich den Bund fürs Leben schließt, oder?“
„Ihr geht es sehr gut. Und Sean ist ein netter junger Mann.“ Sie nahm einen Schluck von ihrem Kaffee und dachte nach. „Hast du ihn eigentlich schon mal getroffen?“
Ein paar Sekunden lang runzelte Russell die Stirn und dachte angestrengt nach. Schließlich schüttelte er den Kopf. „Nein, ich glaube nicht. Sie hält ihn vermutlich ganz schön auf Trab, und wenn sie einkauft, macht er sich für gewöhnlich auf in die Stadt, um gleich seine Familie zu besuchen.“
„Kennst du jemanden, der ihm schon mal begegnet ist?“
„Das ist eine komische Frage. Du hast selbst gerade gesagt, dass er ein netter junger Mann ist, also muss es ihn geben.“
Es klang tatsächlich verrückt, aber es ließ ihr keine Ruhe. „Oh, es gibt ihn tatsächlich. Allerdings bezweifle ich, dass er schon seit eineinhalb Jahren mit meiner Enkelin zusammen ist, geschweige denn seit einem Jahr mit ihr unter einem Dach wohnt.“
Russell wirkte verwirrt. „Warum sollten sie lügen?“
„Das ist die Frage, auf die ich einfach keine Antwort habe“, erwiderte sie und nahm noch einen Schluck von ihrem Kaffee. „Man merkt doch, wenn zwei Menschen verliebt ineinander sind. Und wenn sie … Du weißt
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