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Garou

Garou

Titel: Garou Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Swann
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Rehen, aber er verstand, dass sie wild waren. Frei. Sie wurden nicht gefüttert und nicht geschoren und bekamen kein Kraftfutter und keine Kalziumtabletten. Sie wollten keine Hände. Eine Hand so einfach auf ein wildes Tier zu legen, im Schlaf, wenn es sich nicht wehren konnte - das war gemein. Das Reh wurde unter dem Gewicht der fremden Hand unruhiger, und schließlich schreckte es aus dem Schlaf.
    Dann blitzte ein Messer im Mondlicht auf, und das Reh schrie, fast lautlos, und sprang auf. Sprang auf drei Beinen durch den Wald, unbeholfen, schwankend, mit panischen, wirkungslosen Bewegungen. Der Garou auf seinen zwei gesunden Beinen hinterher. Kurz darauf hörte Mopple wieder einen der lautlosen Schreie, und dann nichts mehr.
    Mopple blieb noch eine ganze Weile im Schnee liegen, dann stand er vorsichtig auf. Der Wald war stiller als zuvor. Er wollte die weiße Hand auf dem wilden Fell vergessen, und dann, wunderbarerweise, vergaß er sie wirklich. Die Hand und alles andere, während dicke Flocken durch den Wald schwebten. Und dann war es auf einmal hell gewesen und Tag, und Mopple hatte sich gefühlt wie vom Himmel gefallen.
    »Und?«, fragte Heide gespannt. »Wer ist es?«
    Mopple überlegte einen Moment. »Ich weiß nicht«, sagte er dann. »Ich habe ihn nicht erkannt.«
    »Das Walross ist es nicht«, sagte er nach einer Weile.
    »Ist es wirklich ein Wolf?«, fragte das Winterlamm.
    »Ich weiß nicht. Es sah aus wie ein Mensch, aber die Bewegungen ... wie ein Mensch, der vergessen hat, dass er ein Mensch ist. Oder der es vergessen möchte.«
    »Und du weißt wirklich nicht, wie er ausgesehen hat?«, fragte Miss Maple. »Gar nicht?«
    Mopple schlackerte verlegen mit den Ohren. »Es war dunkel. Ich lag im Schnee. Ich habe ihn nur von hinten gesehen. Er hatte eine Mütze auf. Aber... aber vielleicht roch er ein kleines bisschen nach Ziege. Vielleicht auch nicht.«
    Nach Ziege? Plötzlich hatte Ramses einen neuen, schrecklichen Verdacht.
    »Was ist, wenn der Garou gar nicht in einem Menschen wohnt?«, blökte er. »Sondern in einer Ziege?«
    Es war ein furchtbarer Gedanke. Sie alle kannten die gruselige Geschichte vom Wolf im Schafspelz. Einen Wolf im Ziegenpelz konnten sie sich noch besser vorstellen, meckernd und witternd und lauernd und voller dummer Sprüche.
    »Oder in einem Schaf!«, blökte Heide und sah misstrauisch zu dem fremden Widder hinüber, der sich mit geschlossenen Augen im Abendlicht sonnte. »Ein Schaf würde andere Schafe anlocken, und dann...«
    Die Schafe waren kurz davor, in hysterisches Blöken auszubrechen, als Ritchfield mit seinem Stern im Gehörn für Ordnung sorgte. Der alte Leitwidder stellte sich neben den Fremden und richtete sich zu seiner vollen Leitwidderhöhe auf.
    »Ich bin mir sicher, das ist ein Schaf!«, erklärte er allen, die es hören wollten, und auf einmal kamen sie sich albern vor. Sie blökten dem Fremden freundlich und ein wenig verlegen zu und grasten so eng um ihn herum wie nie zuvor.
    »Marcassin!«, blökte der Ungeschorene gutmütig.
    Maple hörte auf einmal mit dem Grasen auf.
    Da war eine Spur, direkt vor ihr. Irgendwo. Sie glaubte nicht wirklich, dass der fremde Widder der Garou war. Trotzdem hatte Heide gerade etwas Wahres gesagt. Ein Schaf lockte andere Schafe an - und viele Schafe zusammen - was lockten die an?
    Miss Maple blickte sich um. So viele Schafe auf dem Schnee. So weiß!
    Und dann erinnerte sie sich an die große Spinne, die im Herbst zwischen den Ginsterbüschen ihr Netz gespannt hatte. Eines Tages war ein Eichenblatt in diesem Netz hängen geblieben, und Miss Maple hatte beobachtet, wie die Spinne es gewissenhaft und mit großer Eleganz entfernt hatte. Es hatte eine Weile gedauert, bis Maple verstanden hatte, warum, aber schließlich verstand sie es doch: Das Blatt hätte das Netz den Fliegen verraten - also musste es weg.
    »Es ist eine Falle!«, blökte sie laut. »Wir sind eine Falle! Und Yves war ein Blatt!«
    Die anderen sahen sie verständnislos an.
    »Yves war viel zu groß für ein Blatt«, sagte Cloud beschwichtigend.
    »Und nicht flach genug«, erklärte Heide. »Und er ist nicht auf einem Baum gewachsen«, sagte Mopple. Die Sache war mehr als eindeutig, aber Maple schüttelte stur den Kopf.
    »Ich sage nicht, dass er wirklich ein Blatt war. Aber er war wie ein Blatt. Deswegen musste er sterben!«
    »Friss ein bisschen was!«, sagte Cloud besorgt.
    Maple dachte nicht daran, zu fressen. Sie stand da und käute wieder - Gräser und

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