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Garou

Garou

Titel: Garou Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Swann
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frisches Heu in der Raufe und frisches gelbes knuspriges Stroh am Boden. Und obwohl die Schafe wussten, dass Rebecca diesmal nur Zach treffen wollte, konnten sie das Heu schon riechen: Sonne, Staub und alter Sommer.
    Rebecca ging voran - die Schafe hinterher.
    Zach stand schon in einer Ecke, rotnasig vor Kälte und reglos. Er hatte den Deckel des kleinen Kartons entfernt und hielt ihn mit ausgestreckten Händen vor sich hin. Futter? Die Schafe äugten neugierig auf den Karton, aber sie trauten sich nicht an Zach heran.
    »Es ist mir gelungen, die hier im Wald sicherzustellen.«
    Rebecca warf einen Blick in den Kasten. »Tannenzapfen?«
    Zach lachte bitter. »Raffinierte Tarnung, was? Nein, Rebecca, das sind Sprengsätze. Hochexplosiv. Von den Russen.«
    »Ah«, sagte Rebecca ohne große Begeisterung. »Und was soll ich damit?«
    Zach warf einen hastigen Blick zur Tür des Heuschuppens. »Ich werde verfolgt, Rebecca. Bei mir sind sie nicht mehr sicher. Aber hier... kann... kann ich sie hierlassen? Nur für ein oder zwei Tage, bis ich sie meinem Kontaktmann übergeben kann.«
    Rebecca nickte ungeduldig. »Okay, Zach. Lass sie einfach hier.«
    Vorsichtig, vorsichtig stellte Zach den Karton auf dem Boden ab, und vorsichtig, vorsichtig setzte er wieder den Deckel darauf. Dann trat er schnell auf Rebecca zu und drückte ihr die Hände. »Ich bin dir so dankbar, Rebecca. Es... es tut mir wirklich leid, dass ich dich so einem Risiko aussetze, aber ich muss verhindern, dass die Russen... Ich werde dir das nie vergessen.«
    Eine einzelne Träne rollte unter Zachs Sonnenbrille hervor und glitzerte im fahlen Licht des Heuschuppens.
    »Schon gut, Zach«, sagte Rebecca verlegen. »Jetzt ein Tee, ja?«
    Zach schüttelte den Kopf. »Ich muss weiter. Spionageabwehr!«
    Die beiden wandten sich zum Gehen.
    »Hast du gar keine Angst, dass die Schafe die Sprengsätze auslösen?«, fragte Rebecca in der Tür.
    »Oh nein«, sagte Zach. »Tiere haben Instinkte. Die riechen sofort, wie gefährlich das Zeug ist. Die geringste Erschütterung, und alles fliegt in die Luft. Glaub mir, die werden die Dinger nicht anrühren.«
    Mopples Nase, die gerade dabei war, den Deckel des Kartons zu erkunden, erstarrte.
     
    Die Schafe standen lange schweigend um den Karton herum und witterten.
    Sie rochen nicht, wie gefährlich das Zeug war. Nicht einmal Maude. Der Karton roch wie ein feuchter Karton mit Tannenzapfen darin. Das war alles. Wanzen? Russen? Springsätze? Irgendetwas stimmte mit ihren Instinkten nicht!
    Es gefiel ihnen nicht, auf einmal einen Karton voller Springsätze im Heuschuppen zu haben. Sie wollten nicht in die Luft fliegen wie Vögel - oder Wolkenschafe. Sie mochten es, die Wolkenschafe von unten zu beobachten, und sie stellten sich auch gerne vor, dass diese Schafe am Himmel glücklich waren, und frei. Aber selbst dort hinauf, weit weg von allem Gras?
    Dieser Gedanke gefiel ihnen schon weniger.
    Die Schafe beschlossen, ein wenig draußen auf der Weide zu warten. Vielleicht würden die explosiven Springsätze ja ganz von alleine davonhüpfen, wie kleine Ziegen.
    Draußen ertappten sie den Häher, der mit hängenden Armen vor der Tür des Schäferwagens stand, nach Lavendel roch und unentschlossen aussah. Unentschlossen und sehr erschöpft.
    Schließlich klopfte er doch. Die Tür ging zögerlich auf, und einen Moment lang sahen die Schafe Rebecca, ein schlanker Schattenriss vor dem gemütlichen, rötlichen Licht des Schäferwageninneren.
    »Kann ich mit dir sprechen?«, fragte der Häher. »Nur kurz. Ich weiß, du musst wer weiß was denken ...«
    »Nicht hier«, sagte Rebecca nach kurzem Überlegen. »Meine Mutter schläft.«
    »Genau!«, rief es aus dem Schäferwagen. »Ich komm kurz nach draußen.«
    Rebecca schlüpfte aus der Tür, und dann gingen die beiden an der Schlossmauer auf und ab, auf und ab und sprachen mit gedämpften Stimmen. Als der Häher Rebecca zum Schäferwagen zurückbrachte, kam den Schafen das Licht auf ihrem Gesicht weicher vor. Weicher und lebendiger. Auch Rebeccas Stimme war weich wie das Bauchfell eines Lamms.
    »Danke, Maurice!«, sagte sie. »Danke, dass du mir das alles erzählt hast!«
    Der Häher schwieg einen Augenblick.
    »Ich wollte nicht, dass du das Falsche denkst«, sagte er dann. Er lachte leise. »Das Falsche ist hier wohl ziemlich falsch.«
    Rebecca blieb auf der obersten Stufe stehen, viel länger, als eigentlich nötig gewesen wäre.
    »Da«, sagte sie. »Der Mond ist zu sehen. Und er ist rot.

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