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Garou

Garou

Titel: Garou Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Swann
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einmal ein Reh gewesen war. Noch vor kurzem. Vor langer Zeit.
    »Das war der Garou!«, sagte eine kleine schwarze Ziege neben Zora.
    »Ich glaube, das war ein Reh!«, sagte Zora.
    »Das ist schön«, murmelte das Winterlamm.
    Seltsamerweise verstand Zora, was es meinte. Auf einmal schien die Sonne durch die Bäume und zeichnete filigrane Schattenmuster in den Schnee. Das Weiß und das Schwarz. Das Weiß und das Schwarz und das Rot.
    Wie eine Blume im Schnee.
     

6
     
    »... und seine Augen glühen im Dunkeln wie Glühwürmchen. Und aus seinem Maul hängt eine lange rosa Zunge!«, sagte die Ziege.
    Diesmal hörten ihr die Schafe zu.
    »Kugeln können ihm nichts anhaben!«, meckerte die Ziege.
    Die Schafe nickten verständig. Wem konnten Kugeln schon etwas anhaben? Sehr große Kugeln vielleicht - aber die Schafe hatten noch nie eine so bedrohlich große Kugel gesehen.
    »Nur Silber hilft!«, verkündete die Ziege und guckte in die Runde.
    Die Schafe versuchten so zu tun, als hätten sie das längst gewusst.
    »Wenn er sich verwandelt - hat er dann Menschensachen an oder nicht?«, fragte Miss Maple.
    Es war eine wichtige Frage. In Menschenkleidern würde sich ein Vierbeiner schnell verheddern - und leicht zu erkennen wäre er dann auch.
    Drei Spuren führten zu dem Fleck, der einmal ein Reh gewesen war. Drei Spuren, miteinander verwoben wie Wicken an einem Zaun. Eine zarte, flüchtige, eine große, längliche und eine rote Kette von Blutstropfen, hier und da und dort, wie Mohn in einem Feld. Der Schnee war so weich und pulvrig, dass aus den Spuren sonst nicht viel zu lesen war. Runde Krater im Schnee. Große, kleine und rote. Mehr nicht.
    Auch geruchlich gab der Fleck nicht mehr viel her. Witterungen gefroren in der Kälte, wurden spröde und zersprangen. Alles, was hier übrig geblieben war, war eine kalte Ahnung von Blut. Jetzt glaubten die meisten Schafe etwas von dem, was die Ziege erzählte. Nicht alles, aber dies und das. Ein Wolf, der durch den Wald schlich und Rehe riss. Rehe und Menschen und vermutlich auch Schafe, wenn sich die Gelegenheit bot. Ein Wolf, der am Rande des Waldes aufhörte, Wolf zu sein, und auf zwei Beinen weiterging und unerkannt zwischen den Menschen lebte.
    Ein Wertier. Ein Wandelwolf Die kleine Ziege nannte ihn Garou.
    Der Garou hatte den Schafen gerade noch gefehlt.
    »Und er versteckt sich hinter einem Menschen?«, fragte Lane noch einmal. Es schien ihr kein besonders gutes Versteck zu sein. Menschen waren hoch und dünn und ständig in Bewegung.
    »Nicht hinter einem Menschen«, erklärte Madouc. »In einem Menschen.«
    »Wenn er sich in einem Menschen versteckt, kann er zumindest nicht größer als ein Mensch sein«, sagte Mopple.
    Das war immerhin etwas. Alle Schafe fürchteten sich vor Wölfen, aber wenn sie ehrlich waren, wussten sie nicht sehr genau, wovor sie sich da fürchteten. Wölfe waren Gespenster, der Schrecken zahlloser Lämmermärchen, heißer Atem in ihrem Nacken, wenn sie Angst hatten. Wölfe lebten in Geschichten. Es überraschte die Schafe, dass auf einmal einer dort draußen sein sollte, irgendwo im Schnee, mit blutiger Schnauze.
    »Warum versteckt er sich denn?«, fragte das Winterlamm.
    Madouc überlegte kurz. »Weil die Menschen Angst vor ihm haben. Und wenn Menschen vor etwas Angst haben, sind sie sehr gefährlich. Sogar für den Garou.«
    »Wir könnten auch vor ihm Angst haben«, schlug Heide vor. »Sind wir dann auch gefährlich?«
    »Ein bisschen«, sagte Madouc. Der Gedanke schien ihr zu gefallen.
    »Ich habe Angst vor ihm!«, Heide ging mit gutem Beispiel voran.
    »Ich auch«, seufzte Mopple, nicht besonders bedrohlich.
    Die Schafe hatten sich in sicherer Entfernung unter drei jungen Tannen zusammengeballt und warteten ungeduldig darauf, dass Miss Maple endlich von dem roten Fleck zurückkehrte. Alles hier war zu frisch. Zu ... offen. Wie eine Wunde im Schnee.
    Maple umkreiste den Fleck schweigend. Einmal. Und ein zweites Mal. Witterte. Scharrte im Schnee. Folgte der großen Spur ein Stück weit. Endlich trabte auch sie zu den jungen Tannen.
    »Wir müssten nur dieser Spur folgen«, sagte sie mit einem seltsamen Glanz in den Augen, »und wir könnten ihn sehen!«
    Die anderen guckten wenig begeistert.
    Maple seufzte. »Ich weiß. Ich traue mich auch nicht. Aber...« Sie blickte dorthin, wo die Spur zwischen den Bäumen verschwand. »Die Leute in den Geschichten würden es tun«, sagte sie leise.
    Die Schafe schwiegen stur. Die Leute in den Geschichten

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