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Garou

Garou

Titel: Garou Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Swann
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etwas Graues zwischen den Stämmen - aber es war nicht Melmoth. Zu unförmig. Zu dunkel. Und irgendwie nicht elegant genug.
    Ritchfield hatte die besten Augen der Herde. Er blieb kurz stehen und spähte neugierig dorthin, wo er die Bewegung gesehen hatte. Rund und groß. Etwas wackelig, aber zielstrebig. Vorsichtig und geschickt zwischen den Bäumen.
    Ein Schaf? Ritchfield war sich nicht sicher.
     
    »Das ist aufregend!«, blökte Heide. »Ich hätte nie gedacht, dass Bäume so aufregend sein können!«
    »Ich auch nicht«, sagte Zora, die neben ihr trabte. Nicht dass der Wald ihr gefallen hätte. Das nicht. Zu unübersichtlich. Zu eng. Zu fremd. Aber er berührte sie. Wie das Meer. Wie der Sternenhimmel. Wie ...
    »Wie werden wir denn Cloud finden?«, fragte Heide.
    »Wir gehen dahin, wo es sich gut anfühlt«, erklärte Zora.
    »Und dann?«
    »Cloud wird auch dahin gehen, wo es sich gut anfühlt«, sagte Zora. »Dort finden wir sie.«
    »Und was, wenn es sich an mehreren Stellen gut anfühlt?«, fragte Heide. »Was, wenn es sich nirgends gut anfühlt?«
    Zora schwieg und blieb stehen.
    Heide rannte in Willow, die auch stehen geblieben war. Willow schwieg stoisch. Dafür blökte Lane, die Heide von hinten schubste. Heide blökte empört zurück.
    Die Schafe spähten neugierig nach vorne.
     
    Othello stand still und aufrecht und sah mit seinen vier imposanten Hörnern fast auch ein wenig wie ein Baum aus. Stand und witterte. Witterte und lauschte. Aber mittlerweile blökten hinter ihm so viele Schafe, dass er vermutlich nicht viel hören konnte. Im nächsten Moment war der schwarze Widder losgetrabt, schnell und schweigend, den Hang herunter. Die Schafe folgten ihm erschrocken. Othello führte sie direkt in ein Dickicht aus Weißdorn, Brombeerhecken und halbwüchsigen Birken. Dort war es eng und ungemütlich. Zweige piekten und zwickten sie von allen Seiten. Der Leitwidder blieb stehen.
    Maude witterte. »Das ist...«
    »Still!«, schnaubte Othello.
    Die Schafe standen still wie Steine.
    Etwas bewegte sich zwischen den Stämmen, ein gutes Stück entfernt.
    Rot.
    Und schwarz.
    Und braun.
    Und ein bisschen Gold.
    Eine Glocke.
    Und Stimmen.
    Und wieder die Glocke.
    Komm, sang die Glocke. Schafe, viele Schafe, eine Herde, deine Herde. Zusammen, versprach die Glocke, geborgen, Flanke an Flanke, warm und ganz...
    »...und warum dann die ganze Heimlichkeit?«, sagte eine Männerstimme. »Die Treffen, die gezielte Fehlinformation -und warum das Licht im Turm? Und was suchen die beiden Fremden hier?«
    »Das sind Touristen, Zach«, sagte Rebecca. »Wintergäste.«
    »Sie sind hier seit genau 21 Tagen. Seit dem ersten Schnee. Wer bleibt hier schon 21 Tage?«
    »Du«, sagte Rebecca. »Ich. Mama.« Sie seufzte.
    »Du hast deine Schafe, und ich bin hier stationiert. Das ist etwas ganz anderes. Normalerweise bleiben Touristen höchstens zwei Wochen. Selbst ohne meine Ausbildung würde ich merken, dass hier etwas faul ist. Und was machen sie die ganze Zeit im Wald? Glaubst du, die sammeln Pilze?«
    Rebecca lachte. »Sie gehen spazieren. Was soll man hier auch sonst machen? Der Kleine, Monsieur... ich vergesse den Namen immer, hat eine Lungengeschichte, sagt Madame Fronsac.«
    Rebecca blitzte zwischen den Bäumen auf, mit roter Mütze und der Schafsglocke in der Hand. Hinter ihr kam Zach, unverkennbar in seinem schwarzen Anzug und Mantel und mit Sonnenbrille. Zach trug immer Sonnenbrille, sogar nachts. Das wussten die Schafe, seit Zach einmal eine ganze Nacht auf dem Dach des Schäferwagens gelegen hatte, um das Schloss zu beobachten. Doch das Schloss hatte genau dasselbe getan wie immer: nichts. Und am Morgen hatte ihn Mama entdeckt und gekreischt.
    »Und der Große? Was ist mit dem Großen?«
    »Ich weiß nicht, vielleicht ist es sein Bruder. Irgendeinen Grund wird es schon haben.«
    Rebecca und Zach flackerten zwischen den Bäumen hin und her, mal rot, mal schwarz und mal braun, mal sichtbar, mal von den dunklen Stämmen verdeckt. Manchmal klingelte das Glöckchen.
    Es dauerte eine Weile, bis die Schafe verstanden, dass sich die beiden direkt auf ihr Gebüsch zubewegten. Direkt auf ihr Gebüsch! In stummer Panik beobachtete die Herde, wie Zach an einem Ast hängen blieb, stolperte, sich dann wieder aufrichtete und den Kragen seines Mantels zurechtrückte. Die Schafe mochten Zach. Er tat interessante Dinge, andere als die anderen Menschen. Er versteckte sich zwischen den Ginsterbüschen, blies blauen Puder über die

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