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Garou

Garou

Titel: Garou Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Swann
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Schwarz und Braun und ein bisschen Gold. Und die Stimmen. Und die Glocke.
    »Früher war das hier unsere Basis, weißt du«, sagte Zach. »Ein Ausbildungszentrum für Agenten. Getarnt als Klapsmühle. Streng geheim. Aber dann wurde alles aufgelöst und die Agenten abgezogen. Alle bis auf mich. Und ich sehe zu und frage mich die ganze Zeit: was steckt dahinter? Warum haben sie mich hier stationiert? Ich wüsste wirklich zu gerne, warum sie mich hier stationiert haben, all die Jahre!« Einen Augenblick lang klang Zach viel jünger, und ein bisschen verloren.
    »Aber diesmal bin ich ganz dicht dran. Das ist natürlich alles streng vertraulich«, sagte er dann und klang wie immer.
    »Natürlich«, sagte Rebecca, »streng vertraulich...«, bevor auch ihre Stimme zwischen den Stämmen verschwand.
    Eine Weile war noch das Glöckchen zu hören, dann Stille.
    Die Schafe hatten es eilig, aus dem stacheligen Dickicht herauszukommen, aber ausgerechnet Maude, die sonst immer so für Bequemlichkeit zu haben war, bestand darauf, dass sie sich nicht vom Fleck bewegten. Maude war ihr Warnschaf. Sie roch Dinge, die andere nicht rochen. Also ließen sich die Schafe weiter vom Weißdorn stechen und warteten.
    Und wirklich. Nach einer kurzen Weile bewegte sich wieder etwas im Wald. Dunkel diesmal. Dunkel und schweigsam. Auf einen Stock gestützt. Direkt auf sie zu. Stapf, stapf und stapf. Sie erkannten die Witterung, noch bevor sie die Gestalt zwischen den Stämmen richtig sehen konnten: der Geruch von zu vielen Ziegen und ein bisschen Wurst. Die Schafe hielten den Atem an. Aber der Ziegenhirt hatte den Blick auf den Boden gerichtet und folgte Zachs und Rebeccas Spuren im Schnee, ohne aufzusehen. Stapf, stapf und stapf.
    Dann war die Luft rein.
    Othello führte sie nicht zurück den Hang hinauf, sondern einen Graben entlang. Die Schafe liefen schneller und breiter gestreut. Ihre Schäferin war ihnen dicht auf den Fersen - sie wusste es nur noch nicht. Um diese Zeit dösten sie normalerweise noch alle im Heuschuppen, und die Schafe konnten sich Rebeccas Überraschung vorstellen, wenn sie statt Cloud eine ganze Herde entflohener Schafe fand. Irgendwie glaubten sie nicht, dass Rebecca sich besonders freuen würde.
     
    Zora trabte flott am äußeren Rand der Herde. Zora mochte Ränder. Jeder Rand war ein bisschen wie ein Abgrund, und von jedem Abgrund konnte man etwas lernen.
    Plötzlich streifte etwas Dunkles ihr Gesicht. Ein Krähenschatten. Er kreiste und verschwand. Zora sah sich neugierig um. Im nächsten Augenblick war sie einen riesigen Satz zur Seite gesprungen. Ihr Herz klopfte im Galopp. Etwas zwischen den Bäumen hatte sie angesprungen. Ein Bild. Zora zitterte. Sie wollte weglaufen, und doch musste sie wissen, was sie so erschreckt hatte.
    Warten. Wittern. Ein winziger Schritt.
    Nichts.
    Noch ein Schritt, den Hals lang und die Ohren spitz.
     
    Vor einiger Zeit, als der Wind noch dabei war, die letzten bunten Blätter von den Bäumen zu zupfen, war Zora aufgewacht, früher als alle anderen Schafe. Die Luft hatte sich kühl und schwer und fremd angefühlt. Undurchdringlich. Wie der Wald. Der Wald war auf ihre Weide gekommen.
    Zora war aufgestanden, neugierig, widerwillig, und zur Tür ihres Stalls getrabt.
    Und erschrocken.
    Auf ihrer Weide, nicht weit vom Waldrand, stand ein großes, fremdes Tier:
    Ohren wie flatternde Schmetterlinge, riesige schwarze Augen, gewölbt wie Tautropfen. Es trug eine Witterung so voll von Wildheit und Freiheit und - Verletzlichkeit, dass Zora noch bei der bloßen Erinnerung schwindelig wurde. Das Tier hatte einige Augenblicke stillgestanden, schwarz vor dem milchweißen Morgenhimmel. Zwei andere wie es tauchten hinter ihm auf, gefroren ebenfalls. Die drei sahen Zora an, und Zora, hypnotisiert, hilflos, starrte zurück. Dann lief ein Zittern über die Flanken der Fremden wie Wasserwellen über einen Teich. Und sie stoben davon, lautlos, weit über den Weidezaun hinweg, so als wäre er gar nicht da, hinein in den Wald. Der Wald stand schwarz und schwieg, während der untere Rand des Himmels langsam errötete. Rehe, sagten die Ziegen.
    Rehe waren wie Geister, machtvolle Gedanken von Flucht und Wachsamkeit. In ihrer Welt gab es keine Zäune. Keine, die sie hielten. Keine, die sie beschützten. Zora verstand, warum ihre Augen so groß waren, ihre Beine so lang und ihre Ohren so zart und nervös. Rehe mussten schneller sein als die Gefahr.
    Und doch lag nun eines vor Zora - oder besser gesagt: etwas, das

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