Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Garou

Garou

Titel: Garou Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Swann
Vom Netzwerk:
Schäferwagenstufen, fotografierte den Boden und sprach mit einer Uhr an seinem Handgelenk. Und er achtete auf Dinge, auf die Menschen sonst nicht achteten: Fußabdrücke, Steine, Gerüche, Krümel auf der Fensterbank. Einmal hatte er die Futterkammer nach Waffen durchsucht und anschließend die Tür nicht wieder richtig zugemacht.
    Und anders als die meisten Europäer konnte er sprechen.
    »Sein Bruder? Ha!« Zach klang beleidigt.
    Rebeccas Stimme lächelte. »Wahrscheinlich nicht. Vielleicht sind sie schwul? Oder sie arbeiten für die Steuerfahndung? Egal. Ich bin wirklich froh, dass du mitgekommen bist, Zach. Allein wäre es mir hier jetzt schon ein bisschen unheimlich, nach der Sache gestern.«
    Zachs Miene hellte sich auf. »Nichts zu danken, Rebecca, der Fall interessiert mich natürlich auch beruflich.«
    »Mein ausgebüxtes Schaf?«, sagte Rebecca. »Ein Fall?«
    Einen Augenblick lang blitzte Zachs ernstes Sonnenbrillengesicht hinter einem Stamm auf, dann war er wieder verschwunden.
    »Du solltest das nicht auf die leichte Schulter nehmen«, sagte er. »Die Sache ist komplexer, als es den Anschein hat. Alles hängt zusammen. Alles folgt einem Plan. Erst das Reh, jetzt dein Schaf. Und all die anderen Rehe. Und der kleine Junge. Und die Frau und das Mädchen. Und natürlich auch der alte Herr mit der Silberkugel im Kopf tot vor dem Spiegel. Du glaubst doch nicht etwa an diese absurde Werwolfsgeschichte?«
    »Werwolfsgeschichte?«, sagte ein schwarzer Baumstamm mit Rebeccas Stimme. »Was für eine Werwolfsgeschichte?«
    Rebecca tauchte an anderer Stelle wieder zwischen den Bäumen auf. »Welche anderen Rehe?«, fragte sie dann. »Und welcher Junge? Und was für ein alter Herr?«
    »Darüber darf ich nicht sprechen«, sagte Zach. Wenn Zach über etwas nicht sprechen durfte, dann sprach er nicht darüber. Das wusste auch Rebecca und fragte nicht weiter.
    Es war seltsam, ihre Schäferin so auf sie zustapfen zu sehen. Sie sah kleiner aus zwischen all den Bäumen. Klein, aber kühn. Einige Schafslängen vor ihrem Dickicht blieb Rebecca stehen und sah sich um. Sah sie an. Die Schafe versuchten, leicht und flockig auszusehen. Leicht und flockig und unbeweglich, wie der Schnee.
    Das Glöckchen klingelte.
    »Wenn ich das sagen darf, diese Glocke ist nicht gerade ideal für eine verdeckte Operation«, sagte Zach.
    »Vielleicht nicht«, grinste Rebecca, »aber die Schafe kennen die Glocke. Sie mögen die Glocke. Wenn wir unterwegs sind, bekommt der Schwarze sie um den Hals. Wenn Cloud die Glocke hört, kommt sie vielleicht.«
    Rebecca und Zach standen nun so nah, dass die Schafe sie gut wittern konnten. Nicht nur als ganze Menschen, sondern alle Einzelheiten. Rebeccas Haare, warm und erdig unter der roten Mütze, die Kekse in ihrer Tasche und den interessanten Wollpulli. Zachs kalte Füße und nasse Hosenbeine, das Kräuterbonbon, das er lutschte, und seine Entschlossenheit. Zach war immer entschlossen.
    »Hoffentlich finden wir sie«, sagte Rebecca. Jetzt blickte die Schäferin direkt zu ihnen hinüber. Und sah sie nicht. Und roch sie schon gar nicht. Und ging weiter. Es war schwer zu verstehen. Die Menschen sahen nicht die Dinge, die da waren, sondern die Dinge, von denen sie dachten, dass sie da waren. Rebecca konnte stundenlang in der Futterkammer nach einem Eimer suchen, der vor der Tür stand. Die Menschen dachten zu viel. Oder an die falschen Sachen. Meistens dachten sie zu wenig an Schafe. Und wenn sie auf etwas trafen, das sie nicht denken konnten, waren sie hilflos wie Lämmer.
    Irgendwo im Wald knackte ein Ast, und Rebecca zuckte zusammen.
    »Keine Sorge«, sagte Zach. »Du bist vollkommen sicher. Ich habe meine Dienstwaffe dabei!«
    Er klopfte sich mit der Hand auf den Mantel. Rebecca schmunzelte »Ich habe auch meine Dienstwaffe dabei«, sagte sie und zog etwas aus ihrer Manteltasche, nur einen Moment lang.
    Die Schafe erschraken. Georges Kanone! Das Schießeisen! Es machte einen Höllenlärm und war zu nichts zu gebrauchen.
    »Damit hat mein Vater sich Drogendealer vom Leib gehalten! Gut, was?«
    Das war nun eine glatte Lüge. Das Einzige, was sich der alte George mit dem Schießeisen vom Leib gehalten hatte, war eine windschiefe, wehrlose Zielscheibe gewesen.
    Rebecca läutete wieder die Glocke. Die Schafe mochten die Glocke wirklich. Sie war beruhigend wie das Murmeln eines Mutterschafs. Langsam machte sich der Wald wieder daran, die beiden Menschen zu verschlucken. Ein Bein, einen Arm. Ein wenig Rot und

Weitere Kostenlose Bücher