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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Spruch aus der
Vergangenheit seiner [708]  Mutter kam Garp plötzlich hoch wie Galle, aber er
verschwieg ihn dem alten Rektor. Die Wollust hatte wieder einen guten Mann
lahmgelegt! Ernies einsames Leben deprimierte Garp.
    »Und Ihre Mutter«, seufzte
Bodger, den Kopf im kalten Verandalicht schüttelnd, das auf den schwarzen
Campus von Steering hinausstrahlte. »Ihre Mutter war etwas Besonderes«,
sinnierte der alte Herr. »Sie war eine Kämpfernatur. Ich habe immer noch Durchschriften
von den Mitteilungen, die sie Stewart Percy schrieb.«
    »Sie waren immer nett zu ihr«,
rief ihm Garp in Erinnerung.
    »Sie war hundert Stewart Percys
wert, verstehen Sie, Garp?«, sagte Bodger.
    »Na und ob«, sagte Garp.
    »Wissen Sie, dass er auch gestorben ist?«, sagte Bodger.
    »Fat Stew?«, sagte Garp.
    »Gestern«, sagte Bodger. »Nach
langer schwerer Krankheit – Sie wissen, was das normalerweise bedeutet, nicht?«
    »Nein«, sagte Garp. Er hatte nie
darüber nachgedacht.
    »Normalerweise Krebs«, sagte
Bodger ernst. »Er hatte ihn schon lange.«
    »Ach, das tut mir leid«, sagte
Garp. Er dachte an Pu und natürlich an Cushie. Und an seinen alten Feind
Bonkers, dessen Ohr er im Traum immer noch schmecken konnte.
    »In der Kapelle von Steering ist
morgen Hochbetrieb«, erläuterte Bodger. »Helen kann es Ihnen erklären. Sie weiß
Bescheid. Am Vormittag ist die Trauerfeier für Stewart; Ernie kommt später an
die Reihe. Und Sie sind natürlich über die Sache mit Jenny informiert?«
    [709]  »Welche Sache?«, fragte Garp.
    »Die Feier?«
    »Großer Gott, nein«, sagte Garp.
»Eine Feier, hier ?«
    »Sie wissen doch, hier sind jetzt
auch Mädchen«, sagte Bodger. »Ich müsste wohl sagen Frauen «,
fügte er kopfschüttelnd hinzu. »Ich weiß nicht; sie sind schrecklich jung. Für
mich sind es Mädchen.«
    »Schülerinnen?«, sagte Garp.
    »Ja, Schülerinnen«, sagte Bodger.
»Die Schülerinnen haben dafür gestimmt, die Krankenstation nach ihr zu
benennen.«
    »Die Krankenstation?«, sagte
Garp.
    »Ja, das Gebäude hatte doch nie
einen Namen, verstehen Sie«, sagte Bodger. »Die meisten von unseren Gebäuden
haben Namen.«
    »Die
Jenny-Fields-Krankenstation«, sagte Garp tonlos.
    »Irgendwie nett, nicht wahr?«,
fragte Bodger; er war sich nicht ganz sicher, ob Garp auch so denken würde,
aber Garp war es egal.
    In der langen Nacht wachte die
kleine Jenny einmal auf; als Garp sich von Helens warmem, fest schlafendem
Körper gelöst hatte, sah er, dass Ellen James das schreiende Baby bereits
gefunden hatte und ein Fläschchen warm machte. Merkwürdig gurrende und
grunzende Töne, passend für den Umgang mit Babys, kamen leise aus Ellen James’
zungenlosem Mund. Sie hatte in Illinois in einer Kinderkrippe gearbeitet, hatte
sie Garp im Flugzeug aufgeschrieben. Sie kannte sich mit Babys aus und konnte
sich sogar mit ihnen verständigen.
    Garp lächelte ihr zu und ging
wieder ins Bett.
    [710]  Am Morgen erzählte er Helen
von Ellen James, und sie sprachen von Ernie.
    »Wie gut, dass er im Schlaf
gestorben ist«, sagte Helen. »Wenn ich da an deine Mutter denke.«
    »Ja, ja«, antwortete Garp.
    Duncan wurde mit Ellen James
bekannt gemacht. Einäugig und zungenlos, dachte Garp, wird meine Familie
zusammenhalten.
    Als Roberta anrief, um ihre
Festnahme zu schildern, berichtete Duncan – der munterste redende Mensch im
Haus – ihr von Ernies Herzinfarkt.
    Helen fand den türkisgrünen
Damenoverall und den riesigen ausgestopften Büstenhalter im Abfalleimer in der
Küche; der Anblick heiterte sie ein wenig auf. Die kirschroten Plastikstiefel
passten ihr übrigens besser, als sie Garp gepasst hatten, aber sie warf sie
trotzdem weg. Ellen James wollte das grüne Tuch haben, und Helen fuhr mit dem
Mädchen in die Stadt, um ihr noch ein paar Sachen zu kaufen. Duncan wollte und
bekam die Perücke, die er – sehr zu Garps Ärger – fast den ganzen Vormittag
aufbehielt.
    Rektor Bodger rief an, um zu
fragen, ob er etwas tun könne.
    Ein Mann, der jetzt das
Verwaltungsreferat für Raum- und Bauplanung der Steering School leitete,
klingelte und wollte Garp unter vier Augen sprechen. Der Referatsleiter
erläuterte, dass Ernie in einem Haus der Schule gewohnt habe, und sobald es
Helen passe, möchte sie es bitte räumen. Garp hatte gehört, dass der ehemalige
Familiensitz der Steerings, Midge Steering-Percys Haus, vor einigen Jahren der
Schule zurückgegeben worden war – ein [711]  feierlich übergebenes Geschenk von
Midge und Fat Stew.

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