Garp und wie er die Welt sah
Behandlung
zukommen lassen kann.«
»Sie Biest!«, brüllte Stewart.
»Ihr Bastard hat meine Tochter verführt! Ich weiß, dass sie dort sind, auf
Ihrer verdammten Fickstation!«
Es ist jetzt eine Fickstation, dachte Garp und genoss die [163] Berührung und den Duft
Cushies, die zitternd neben ihm stand. In der kühlen Luft, die durch das dunkle
Fenster drang, erschauerten sie stumm.
»Sie sollten meinen Hund sehen!«, schrie Stewart auf Jenny ein. »Überall Blut!
Der Hund hat sich unter der Hängematte verkrochen! Blut auf der Veranda!«,
krächzte Stewart. »Was zum Teufel hat dieser Bastard mit Bonkers gemacht?«
Garp fühlte, wie Cushie neben ihm
zusammenzuckte, als seine Mutter antwortete. Was Jenny sagte, musste Cushie
Percy an ihre Bemerkung dreizehn Jahre zuvor erinnert haben. Was Jenny Fields
sagte, war: »Garp hat Bonkie gebissen.« Dann ging das Licht in ihrem Zimmer
aus, und in der Dunkelheit rings um das Nebengebäude und die Krankenstation war
nur noch Fat Stews Atmen zu hören, zusammen mit dem abfließenden Regen – der
über die Steering School rann und alles reinwusch.
[164] 5
In der Stadt, in der Mark Aurel
starb
Als Jenny Garp nach
Europa mitnahm, war Garp besser auf das Klausurleben eines Schriftstellers
vorbereitet als die meisten anderen Achtzehnjährigen. Er lebte bereits in
seiner eigenen Phantasiewelt; schließlich war er von einer Frau großgezogen
worden, die das Klausurleben für vollkommen natürlich hielt. Es sollte Jahre
dauern, bis Garp merkte, dass er keine Freunde hatte, doch diese Seltsamkeit
kam Jenny Fields niemals seltsam vor. Auf seine distanzierte und höfliche Art
war Ernie Holm der erste Freund, den Jenny Fields je gehabt hatte.
Bis Jenny und Garp eine Wohnung
fanden, wohnten sie in mehr als einem Dutzend Pensionen in Wien. Mr. Tinch
hatte gemeint, dies sei die beste Methode, um sich den Teil der Stadt
auszusuchen, der ihnen am besten gefiel: in allen Bezirken wohnen und dann
entscheiden. Aber das kurzfristige Leben in Pensionen musste für Tinch im
Sommer 1913 angenehmer gewesen sein; als Jenny und Garp nach Wien kamen, war es
1961; sie hatten es bald satt, ihre Schreibmaschinen von Pension zu Pension zu
schleppen. Doch war es diese Erfahrung, die Garp zu dem Stoff für seine erste
größere Kurzgeschichte, Die Pension Grillparzer, verhalf. Garp hatte noch nicht einmal gewusst, was eine Pension war, bevor er
nach Wien kam. Aber er fand schnell [165] heraus, dass eine Pension weniger bot
als ein Hotel – sie war immer kleiner und nie elegant; sie bot manchmal
Frühstück und manchmal nicht. Eine Pension war manchmal billig und manchmal ein
Fehler. Jenny und Garp fanden Pensionen, die sauber und gemütlich und
freundlich waren, aber oft waren sie heruntergekommen.
Jenny und Garp brauchten wenig
Zeit, um zu entscheiden, dass sie am oder nahe beim Ring, der großen runden
Straße, die das Herz der Altstadt umgibt, wohnen wollten; es war der Teil der
Stadt, wo praktisch alles war und wo Jenny, die kein Deutsch konnte, etwas
besser zurechtkam – es war der aufgeschlossenere, kosmopolitische Teil Wiens,
sofern es in Wien überhaupt einen solchen Stadtteil gibt.
Es machte Garp Spaß, für seine
Mutter verantwortlich zu sein; drei Jahre Deutsch an der Steering School hatten
Garp zu ihrer beider Anführer gemacht, und er genoss es sichtlich, Jennys Boss
zu sein.
»Nimm das Schnitzel, Mom«,
empfahl er ihr etwa.
»Ich fand, Kalbsnieren klingt so verlockend«, sagte Jenny.
»Kalbsnieren, Mom«, übersetzte
Garp. »Magst du Nieren?«
»Ich weiß nicht«, gab Jenny zu.
»Wahrscheinlich nicht.«
Als sie endlich in eine eigene
Wohnung zogen, übernahm Garp das Einkaufen. Jenny hatte achtzehn Jahre lang in
den Speisesälen der Steering School gegessen; sie hatte nie kochen gelernt, und
jetzt konnte sie die Rezepte nicht lesen. In Wien entdeckte Garp, wie gern er
kochte. Aber das Erste, was ihm an Europa eindeutig gefiel, war das WC – das Wasserklosett. In seiner Pensionszeit stellte
Garp fest, dass [166] ein Wasserklosett ein winziger Raum mit einer Toilette und
sonst nichts war; es war das Erste an Europa, was Garp sinnvoll fand. Er
schrieb an Helen, dass »es das vernünftigste System ist – in dem einen Raum zu
urinieren und seinen Darm zu entleeren und sich in einem anderen die Zähne zu
putzen«. Das WC sollte natürlich auch eine wichtige
Rolle in Garps Geschichte Die Pension Grillparzer spielen, aber vorerst schrieb Garp weder diese noch irgendeine
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