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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Enttäuschung ihres Sohnes spürte. »Du hast nur vier Jahre [157]  gebraucht,
um die Steering School abzuschließen, aber ich bin
achtzehn Jahre auf dieser verdammten Schule gewesen.« Jenny war nicht sehr
trinkfest: Als sie ihr zweites Bier halb getrunken hatte, döste sie weg. Garp
trug sie in ihr Zimmer; sie hatte sich bereits die Schuhe ausgezogen, und Garp
löste nur ihre Schwesternnadel – damit sie sich, wenn sie sich im Bett
herumdrehte, nicht damit pikste. Es war eine warme Nacht, deshalb deckte er sie
nicht zu.
    Er trank noch ein Bier, und dann
machte er einen Spaziergang.
    Das Haus der Percys –
ursprünglich das Haus der Steerings – thronte nicht weit vom Nebengebäude der
Krankenstation auf seinem feuchten Rasen. Nur ein Licht brannte in Stewart
Percys Haus, und Garp wusste, wessen Licht es war: Die kleine Pu Percy, die
inzwischen vierzehn war, konnte ohne Licht nicht schlafen. Cushie hatte Garp
auch erzählt, dass Bainbridge immer noch gern Windeln trug – vielleicht, dachte
Garp, weil ihre Familie sie immer noch beharrlich Pu nannte.
    »Na ja«, sagte Cushie, »ich weiß
nicht, was daran schlimm sein soll. Sie braucht die
Windeln ja nicht, verstehst du? Ich meine, sie ist stubenrein und so. Pu trägt nur gern Windeln –
gelegentlich.«
    Garp stand auf dem dampfenden
Gras unter Pu Percys Fenster und versuchte, sich zu erinnern, welches Zimmer
das von Cushie war. Da er sich nicht daran erinnern konnte, beschloss er, Pu zu
wecken; sie würde ihn bestimmt erkennen, und bestimmt würde sie Cushie Bescheid
sagen. Aber Pu erschien wie ein Gespenst an ihrem Fenster; sie schien Garp, der
sich am Efeu unter ihrem Fenster festhielt, nicht [158]  sofort zu erkennen.
Bainbridge Percy hatte Augen wie ein von Autoscheinwerfern gebanntes Reh, kurz
bevor es überfahren wird.
    »Um Gottes willen, Pu, ich bin’s«, flüsterte Garp ihr zu.
    »Du willst zu Cushie, nicht
wahr?«, fragte Pu mürrisch.
    »Ja!«, grunzte Garp. Dann riss
der Efeu ab, und Garp fiel in die Hecke hinunter. Cushie, die in ihrem
Badeanzug geschlafen hatte, half ihm heraus.
    »Wow, du weckst noch das ganze
Haus«, sagte sie. »Bist du betrunken?«
    »Ich bin gefallen «, sagte Garp gereizt. »Deine Schwester ist so komisch.«
    »Draußen ist es überall nass«,
sagte Cushie zu ihm. »Wohin können wir gehen?«
    Garp hatte daran gedacht. Im
Nebengebäude, das wusste er, waren sechzig Betten frei.
    Aber Garp und Cushie waren noch
nicht an der Veranda der Percys vorbei, als Bonkers sie stellte. Die schwarze
Bestie war schon vom Heruntersteigen der Verandatreppe außer Atem, und ihre
eisgraue Schnauze war mit Geifer gesprenkelt; ihr Atem traf Garp wie ein alter,
ihm ins Gesicht geschleuderter Grasballen. Bonkers knurrte, aber selbst sein
Knurren war langsamer geworden.
    »Sag ihm, er soll abhauen«,
flüsterte Garp Cushie zu.
    »Er ist taub«, sagte Cushie. »Er
ist sehr alt.«
    »Ich weiß, wie alt er ist«, sagte
Garp.
    Bonkers bellte – ein knirschender
und scharfer Ton wie von den Angeln einer unbenutzten Tür, die plötzlich mit
Gewalt geöffnet wird. Er war dünner geworden, aber er wog immer noch gut
sechzig Kilo. Ein Opfer von [159]  Ohrmilben und Räude, alten Hundebissen und
Stacheldraht, beschnüffelte er jetzt seinen Feind und nagelte Garp an der
Veranda fest.
    »Hau ab, Bonkers!«,
zischte Cushie.
    Garp versuchte, um den Hund
herumzugehen, und merkte, wie langsam Bonkers reagierte.
    »Er ist halb blind «, flüsterte Garp.
    »Und er kann nicht mehr gut
riechen«, sagte Cushie.
    »Er sollte längst tot sein«,
flüsterte Garp vor sich hin, aber er versuchte, einen Bogen um den Hund zu
machen. Bonkers folgte ihm benommen. Sein Maul erinnerte Garp immer noch an die
Kraft eines Schaufelbaggers, und die schlaffe Muskelfalte an seiner schwarzen
zottigen Brust zeigte Garp, wie plötzlich der Hund jemanden anspringen konnte –
doch das war lange her.
    » Ignorier ihn einfach«, schlug Cushie vor – in dem Augenblick, als Bonkers ihn gerade
ansprang.
    Der Hund war so langsam, dass
Garp ihm noch ausweichen und schnell hinter ihn treten konnte; er zog ihm die
Vorderbeine weg und ließ sich mit der Brust auf den Rücken des Hundes fallen.
Bonkers stürzte vornüber und fiel auf die Schnauze – seine Hinterbeine hatten
jedoch noch Halt. Garp hatte die eingeknickten Vorderbeine jetzt unter
Kontrolle, aber der Kopf des großen Hundes wurde nur durch das Gewicht von
Garps Brust am Boden gehalten. Ein scheußliches Knurren ertönte, als Garp

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