Garten des Lebens
Chrissie sich. Sie konnte nicht glauben, dass Jason sie jemals hintergehen würde. Und Katie war eine ihrer besten Freundinnen. Sie wollten nach den Sommerferien zusammenziehen. Katie würde ihr doch niemals den Mann ausspannen.
Nein, keiner von beiden würde mich betrügen, dachte Chrissie.
Die restliche Fahrt verlief schweigend.
Jason hielt am Bordstein vor dem Terminal, und Chrissie stieg aus, sobald der Wagen zum Stehen gekommen war. Ohne ein Wort zu sagen, sprang Jason aus dem Auto, öffnete den Kofferraum und hob ihr Gepäck heraus.
“Der Sommer geht in null Komma nichts vorbei”, sagte er mit gespielter Fröhlichkeit. “Du sollst mal sehen, wie schnell du wieder hier bist.”
“Klar”, sagte sie in demselben falschen Ton. “Total schnell.”
Jason nickte. “Ich rufe dich bald an.”
Sie nickte ebenfalls und griff nach ihrem Koffer. “Ich denke, ich sollte jetzt besser hineingehen.”
“Ich wünsche dir einen schönen Sommer.”
Sie versuchte zu lächeln. “Das wünsche ich dir auch.”
Jason beugte sich zu ihr, um sie zu küssen, aber es fühlte sich anders an als die Küsse, die sie einander sonst gegeben hatten. Chrissie hatte Angst, Jason zu verlieren, und es zerriss ihr beinahe das Herz.
4. KAPITEL
S usannah freute sich nicht auf ihre Reise nach Colville. Die Gemeinde im Osten des Staates Washington unterschied sich in nichts von zahllosen anderen kleinen Städten im Land. Als sie am Rathaus vorbeifuhr, fiel ihr Blick auf die Turmuhr. Colville mit seinem JCPenney-Geschäft an der Hauptstraße war für viele der kleineren Ortschaften im Umland die “Großstadt”. Früher hatte Colville die einzige Ampelanlage in Stevens County gehabt. Mittlerweile gab es sogar einen Kreisverkehr.
Hier zeigte sich das kleinstädtische Amerika von seiner besten Seite.
Und von seiner schlechtesten.
Die Fahrt dauerte sieben Stunden. Susannah unterbrach sie nur für eine kleine Pause zum Mittagessen. Als sie die Randbezirke der Stadt erreichte, spürte sie, wie ihre Anspannung wuchs. Susannah drehte die Musik lauter und hoffte, vom Beat der Rolling Stones abgelenkt zu werden. Das erste Gebäude, an dem sie vorbeikam, war der Burger King, der seine Pforten geschlossen hatte. Dies war wahrscheinlich die einzige Filiale der gesamten Kette, die jemals bankrottgegangen war. Als Nächstes kam die Bowling Alley. Auf der Tafel war das Special des Tages angezeigt: Frühstück mit zwei Eiern, Toast und Kaffee für 2,99 Dollar – als sie noch ein Kind gewesen war, hatte es nur 1,99 Dollar gekostet. Solange Susannah zurückdenken konnte, war genau dieses Frühstück das Special des Tages gewesen.
Sie fuhr an der Leichenhalle von Colville vorbei. Früher gehörte sie ihrem inzwischen verstorbenen Onkel Henry. Susannah war mit zahllosen Cousinen und Cousins aufgewachsen. Aber keiner von ihnen hatte sich in der Gegend angesiedelt. Es hatte wohl auch für sie keinen Grund gegeben, in Colville zu bleiben.
Während Susannah die Hauptstraße weiter entlangfuhr, spürte sie, wie das Unbehagen wuchs. Ihre Mutter in eine Einrichtung für betreutes Wohnen zu bringen würde keine einfache Aufgabe werden. Die Beklemmung, die sie empfand, rührte aber noch von etwas anderem her. Seit Susannah aus Colville weggegangen war, um zum College zu gehen, hatte sie nicht mehr zurückgeblickt. Sicher, sie war in den vergangenen Jahren das eine oder andere Mal zu Besuch gewesen, aber wann immer sie hierhergekommen war, war auch die ihr so vertraute Traurigkeit zurückgekehrt. Das hing vor allem mit dem Tod ihres Bruders Doug zusammen. Er war in dem Jahr, als sie achtzehn wurde, bei einem Autounfall ums Leben gekommen.
Susannah war damals in einem französischen Internat gewesen. Ihr Vater hatte es so gewollt. Ein Anruf aus Amerika bedeutete schlechte Neuigkeiten. Und so war es. Das Telefonat kam mitten am Tag und es brachte die schlimmsten Nachrichten ihres Lebens. Ihr Bruder, drei Jahre älter als sie, war bei einem Autounfall in einer berühmt-berüchtigten Kurve vor Colville getötet worden.
In dem Augenblick hatte sich Susannahs Welt für immer verändert. Und als wäre der Tod ihres Bruders nicht schon schlimm genug gewesen, hatte ihr Vater sich auch noch geweigert, ihr den Flug nach Hause zu bezahlen, damit sie an der Beerdigung teilnehmen konnte. Das hatte sie ihm niemals verziehen. Ihr ganzes Leben war wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen. Nach diesem Verlust war Susannah nicht mehr dieselbe. Und auch ihre Eltern
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