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G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke

G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke

Titel: G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ruff
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einer kleinen Veranda, die über die steilste Seite des Hügels hinausragte und von der aus man eine Aussicht hatte. Joan ging die letzten Schritte bis zur Hütte und schob die Tür (sie hing nicht mehr in den Angeln) beiseite. »Freu dich, Harry«, sagte sie. »Heute nacht schläfst du mit einem Dach über dem Kopf.«
    Innen waren die Fußbodenplanken schon teilweise durchgefault, und vom versprochenen Dach war auch nicht mehr viel übrig; was es an Mobiliar gegeben haben mochte, war von früheren Besuchern zerhackt und im rostigen Olfaß-Ofen verheizt worden. Joan stampfte mit einem Fuß fest auf den Vorbau, bevor sie ihm ihr ganzes Gewicht anvertraute, aber wenigstens er schien stabil zu sein. Sie trat hinaus auf die Veranda und zündete sich mit einem Pappstreichholz eine Zigarette an.
    »Ubermäßig hohe Instandhaltungskosten haben die hier scheint's nicht, was?« sagte Gant.
    »Die Hütte stammt noch aus der Zeit vor dem Schutzgesetz«, erklärte ihm Joan. »Sie lassen sie verfallen, so wie jedes andere Gebilde von Menschenhand hier in der Wildnis. Ein Stückchen westlich von hier steht ein Kernkraftwerk, das nie fertiggestellt wurde, da wachsen schon Flechten überall auf den Kühltürmen. Natürlich, nordwestlichvon hier hat das jüngste hydroelektrische Projekt der Hydro-Quebec gerade fünfundzwanzigtausend Hektar Wald unter Wasser gesetzt. Die Umweltpolitik des Separatistenparlaments ist nicht hundertprozentig konsequent.«
    »Ist mir auch schon aufgefallen«, sagte Gant. »Fermentierter Tabak ist also natürlicher als Klopapier?«
    Joan warfeinen Blick auf die brennende Gauloise, die sie zwischen den Fingern hielt. »Ach«, sagte sie, »das. Naja, weißt du, die meisten Grünen von Quebec sind Kettenraucher, und so ...«
    »Ich könnt mir aber denken, daß auch die meisten von ihnen aufs Klo gehen.«
    »Prioritäten, Harry. Außerdem haben die Waldhüter meine Rippen gezählt, und sie werden die Stummel zählen, wenn wir wieder rauskommen. Und du versuchst dir besser nicht auszumalen, was die mit Leuten anstellen, die Waldbrände verursachen.«
    »Nein, versuch ich auch gar nicht.« Gant streifte seinen Rucksack von den Schultern und fand eine unmorsche Ecke des Fußbodens, wo er ihn abstellen konnte. »Und jetzt, wo wir hier sind, Joan, können wir uns über -«
    Sie hob eine Hand, um ihn zu stoppen. »Bevor du mit deinem Vortrag anfängst«, sagte sie, »komm hier raus auf die Veranda und schau dir die Aussicht an.«
    Er kam heraus, mit behutsamen Schritten; mit dem fast senkrecht abfallenden Hang unter sich war die Veranda eindeutig als höhenangsterregend einzustufen. Als er in die Weite blickte, sah er, daß sie sich an dem einen Ende eines langen bewaldeten Tals befanden, und daß das Flüßchen, an dem sie entlanggewandert waren, in die runde Münze eines Sees mündete, die die alchimistische Abendsonne gerade von Silber in Bronze in Kupfer transmutierte. Am Rand des Wassers senkte ein Elch den Kopf, um zu trinken; wie der Bär war er gar kein so furchterregendes Tier, wie er gedacht hatte. Ein durchaus edles Geschöpf sogar, aus dieser Entfernung betrachtet. Aber was Gant wirklich bewegte, was seine zivilisierte Abgestumpftheit durchdrang und sein Herz mehr als alles andere berührte, waren die Biber. Echte, keine batteriebetriebenen: eine wenigstens sechsköpfige Familie, die an einem Damm aus gefällten Baumstämmen herumwerkelte.
    »Ha«, sagte Gant. »Wahnsinn.«
    »Was meinst du?« fragte Joan. »Der Mühe wert?«
    »Geh ich recht in der Annahme«, erwiderte er, »daß du kein Fernglas an diesen Franzosen vorbeigeschmuggelt hast?«
    »Tut mir leid, Harry. Wir können zu dem See runterlaufen, wenn du möchtest.«
    »Nein, nein, lassen wir den Elch in Ruhe austrinken. Aber sag mir eins, ist es in Nigeria auch so?«
    »Im Winter gibt's da etwas weniger Schnee, zumindest in der Regel.«
    »Aber ist es da auch so?«
    »Du meinst, ob's auch verdient, nicht vergiftet zu werden? Klar.«
    Harry Gant nickte. »Siehst du?« sagte er. »Das ist genau der Grund, warum ich möchte, daß du für mich arbeitest.«
    »Was meinst du damit?«
    »Das alles.« Er breitete die Arme aus. »Daß du mich hierherbringst, mir einen unmittelbaren Eindruck davon verschaffst, was bei der Sache auf dem Spiel steht. Du bist genau die Sorte Mensch, die ich mir als die leitende Kraft hinter der Gantschen Umweltpolitik wünsche.«
    Joan drückte ihre Zigarette auf dem Geländer der Veranda aus und steckte sich den Stummel in

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