G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke
in echter Vorfreude -, »wie wär's, wenn du mir zuerst eine Geschichte erzählen würdest?«
»Eine Geschichte?«
»Ja. Die von meinen Urururururgroßeltern. Und dem Bürgerkrieg. «
»Ach so«, sagte FREUND Biber, »Die.«
Blau und Grau greift ein
Kite rauchte gerade eine Zigarette, als sie Maxwell schreien hörte. Ein saublödes Pech, daß sie ausgerechnet draußen auf dem Bürgersteig stehen und ihn hören mußte; denn auch wenn das »Sharper Image«, Ecke 4ist und Fifth, genau wie jeder andere Laden in Manhattan nikotinfreie Zone war, drückte die Geschäftsführung gewöhnlich ein Auge zu, wenn sie sich ein paar Züge genehmigte oder sich irgendeinen anderen Verstoß gegen die gegenwärtigen guten Sitten gestattete. Sie sah älter aus als zwei x-beliebige Durchschnittssenioren zusammengenommen, ihr fehlte der rechte Arm, und der Mantel, den sie trug - zu gleichen Teilen blau und grau, aus Stücken mehrerer echter Uni-formen zusammengenäht -, hatte ein militärisches Flair, das Respekt einflößte, oder zumindest respektvolle Gleichgültigkeit. Leute unter sechzig fügten sich normalerweise ihren Wünschen, ohne weiter darüber nachzudenken.
Aber nicht an diesem Nachmittag. Sie war ins »Sharper Image« gekommen, um sich die neusten Errungenschaften der Technik anzusehen - einer ihrer liebsten Zeitvertreibe. Für Kite, die sich (wie sie behauptete) an eine Epoche vor dem Fernsehen
- und damit meinte sie nicht Videoclips, sondern das Fernsehen als solches -, vor dem Radio, vor Fords T-Modell, vor der Entstehung dieser Vereinigten Staaten erinnern konnte ... nun, für sie war es ungemein unterhaltend, einfach nur von der Existenz solcher technischen Spielereien wie eines klimatisierten Hundenapfes mit eingebautem subliminalem Erziehungsprogramm ($ 269,95 zuzügl. MwSt.) zu erfahren. Besser als ins Kino gehen
- und billiger noch dazu.
Sie hatte ihren Tabaksbeutel auf ein kryostatisches Speichermodul für Zimmerpflanzen gelegt (»Damit die schönsten Wochen des Jahres nicht durch die Sorge getrübt werden, wer den Familienfarn gießt!«) und drehte sich gerade einhändig eine Kippe, als der Abteilungsleiter sie auf die Schulter tippte.
»Das da ist kein Aschenbecher, Ma'am«, sagte der Mann. »Es ist ein hochempfindliches Lebenserhaltungsgerät und ziemlich teuer.«
»Norman Lao« verriet das Namensschildchen an der Brusttasche seines Hemdes. Etwas an seinen Gesichtszügen rief eine Erinnerung aus längst vergangenen Zeiten in ihr wach.
»Lao«, sagte Kite. »Lao. Sie haben nicht zufällig Vorfahren aus Michigan, Lao?«
»Rauchen ist in den Verkaufsräumen nicht gestattet, Ma'am«, beharrte Lao. Kite schenkte ihm ihr gütestrahlendstes Großmutterlächeln.
»Keine Ausnahmen für eine harmlose alte Frau ...«
»Keine Ausnahmen, Ma'am.«
»... und Kriegsteilnehmerin?« Sie erhob die Stimme ein bißchen: »Unionsarmee vom Potomac, 1861 bis 1864. Auch kurz im Standing Bear Cherokee Platoon der Konföderierten Armee gedient. Nur damit Sie Bescheid wissen.«
Lao zeigte ihr den Ausgang.
Also zündete sie sich ihre Zigarette draußen an und dachte an den Ur-Lao: Untergefreiter Ting Lao vom 2. Michigan-Bataillon, der ihr vor hundertneunundfünfzig Jahren ihren Spitznamen verpaßt hatte und der, nebenbei gesagt, ein gewaltiger Raucher vor dem Herrn gewesen war. Aber diese Zeiten waren lange vorbei ... Jetzt kam ein berittener Verkehrspolizist des Weges, roch Kites Rauch und drohte mit dem Finger. »Schlimme, schlimme Angewohnheit«, sagte er.
Drüben vor der Stadtbücherei fing ein Mann an zu schreien. Unbekümmert hielt der Verkehrsbulle an, um einem falsch parkenden Transporter einen Strafzettel auszustellen. Der schreiende Mann brüllte aus Leibeskräften.
»Ach, Maxwell«, sagte Kite und warf ihre Zigarette in den Rinnstein. »In was für einen Schlamassel bist du diesmal geraten?«
Es war die Sorte Schlamassel, die Menschenmengen und Sondereinsatzkommandos anzog. Nachdem er sich von irgendwoher ein Elektrisches Tranchiermesser besorgt hatte - vielleicht verlieh die Stadtbücherei neuerdings auch kleinere Haushaltsgeräte, Kite wußte es nicht -, hatte Maxwell einen der steinernen Löwen bestiegen, das Messer an die Stromversorgung seines Elektro-Beins angeschlossen und angefangen, sich als öffentliches Ärgernis zu betätigen. Das Tranchiermesser war auf die niedrigste Geschwindigkeit eingestellt, ein kaum hörbares Summen, aber das Berserkergebrüll, mit dem Maxwell damit herumfuchtelte,
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