G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke
die Verkehrsbetriebe zweimal im Monat Arbeiter mit Kettensägen vorbeischicken, damit der U-Bahn-Tunnel befahrbar blieb.
Zähes Bäumchen. Das einzige, was es noch afrikanischer gemacht hätte, dachte Seraphina, wäre eine Lemurenfamilie gewesen, die auf seinen stämmigen Asten herumkletterte. Aber Lemuren waren ausgestorben,
Sie setzte FREUND Biber aufs Bett und ließ FREUNDin Eichkätzchen aus ihrer Hosentasche heraus. Aus anderen Taschen ihrer Weste und Hose zog sie die Bücher hervor, die sie vor Maxwells Ankunft hier und da eingesteckt hatte; als sie anfing, sie auf dem Privatesten Lesetisch Von Allen zu stapeln, ging die obere rechte Schublade selbsttätig auf, und eine muntere braune Maus mit Bifokalbrille hüpfte auf die Tischplatte.
»Hallo, FREUND Wühlmaus«, sagte Seraphina.
»Hallo, Seraphina«, erwiderte FREUND Wühlmaus, dessen Nase erwartungsvoll-genießerisch zuckte, während der Bücherturm noch weiter wuchs. »Haben wir einen herrlichen Tag gehabt?«
»FREUND Wühlmaus«, sagte Seraphina, »Wann hatte ich je keinen herrlichen Tag?«
»Nie«, sagte FREUND Wühlmaus absolut wahrheitsgemäß. Die andere Hälfte von Seraphinas neurologischer Grundausstattung war nämlich ein abnorm hoher Serotoninspiegel im Gehirn, gepaart mit einem mutierten Hormon - »endogenes Pro-zac« hatte es Mosel Kazenstein genannt -, das die Wirkung des
Serotonins noch weiter verstärkte. Das bedeutete, daß Seraphina nicht nur Voll-Legasthenikerin, Halbwaise und eines der letzten noch lebenden Exemplare ihrer Rasse, sondern darüber hinaus auch biochemisch außerstande war, sich über auch nur eine dieser Tatsachen zu grämen. Ein guter, durch Suizidhemmung der Selbsterhaltung dienender Wesenszug - namentlich wenn es für sie daraufhinauslaufen sollte, den Rest ihres Lebens als Elektro-Negerin verkleidet zu verbringen aber frustrierend: niemals wirklich frustriert zu sein, keine Depressionen zu kennen. Nie ausreichend wütend zu werden, um jemandem eine zu scheuern.
»Ich mach mir darüber Gedanken«, hatte sie einmal Lexa anvertraut. »Nur so zum Spaß, mein ich, das ist das Problem, es ist nie im Ernst. Wäre es für jemanden wie mich nicht naheliegend, den Wunsch zu verspüren, Häuser in Brand zu stecken? Black American English zu lernen, sich als Massai-Rrieger zu verkleiden und Weiße über den Haufen zu schießen? In einem Film würde ich das wahrscheinlich tun. Aber das Beste, was ich im wirklichen Leben in der Richtung zustande bringe, sind dumme Streiche.«
»Darin bist du aber ziemlich gut«, sagte Lexa zu ihr. »Philo betrachtet dich als eine Extremistin, und er urteilt ja nun nicht gerade von der bürgerlichen Mitte aus.«
»Und das ist die andere Sache, die mir zu denken gibt. Ich sag zu mir: >Seraphina, du hast einen Hirnschaden, es ist völlig in Ordnung, wenn du so empfindest oder nicht so empfindest. < Aber was hat Dad für eine Entschuldigung?«
»Du findest, Schiffe versenken sei ein Zeichen von Selbstzufriedenheit?«
»Naja...«
»Glaub mir«, sagte Lexa, »dein Vater ist genau so wütend, wie du es gern wärest, aber er leitet aus seiner Wut nicht clas Recht ab, das Leiden auf der Welt willkürlich zu vermehren.«
»Na schön, ich werde auch nicht das Leiden willkürlich vermehren«, verkündete Seraphina. »Ich werde die Leute nur absolut tierisch nerven.« Was sie auch tat, und zwar mit nicht geringem Erfolg; erst am vergangenen Wochenende hatte sie einen größeren Coup gelandet.
»Hör mal, das kannst du aber nicht behalten«, sagte FREUND Biber jetzt und zeigte auf das Gemälde, das im Lesezimmer an der Wand hing. »Du mußt es zurückgeben.« Es war Leonardos Mona Lisa. Das Original. Seraphina hatte es gegen FREUND Bibers hartnäckigste Einwendungen aus einer Sonderausstellung im Metropolitan Museum of Art mitgehen lassen. Die französische Regierung verlangte, daß der ganze Kontinent für eine Leibesvisitation die Hosen runterließ. »Man kann nicht einfach hergehen und anderer Leute Kulturschätze stehlen!«
»Kann man doch«, sagte Seraphina. » Statistisch gesehen, kann man. Aber keine Sorge, ich hab vor, sie zurückzugeben.« Sie sah auf Mona Lisas Mund, seit fünfhundertzwanzig Jahren in einem Lächeln erstarrt, und dachte: Ich weiß, was das für ein Gefühl ist.
»Du hast etwas Hinterhältiges im Sinn«, sagte FREUND Biber ahnungsvoll. »Etwas Hinterhältiges und wahrscheinlich Gefährliches. Was ist es?«
»Ich sag's dir gleich. Aber zuerst« - ihr Gesicht erhellte sich
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