G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke
erinnerte an einen Safe oder ein Bankschließfach, und das entsprach durchaus seiner Bestimmung: als dauerhafter Behälter für so viel afrikanische und afroamerikanische Geschichte zu dienen, wie Seraphina nur herbeischaffen konnte. FREUND Wühlmaus war das Eingabegerät: Sobald er seinen dünnen Schwanz direkt in den Hauptspeicher gestöpselt hatte, wurde er zu einem Omni-Datenbus, der mit wahrer Unersättlichkeit sämtliche Informationen verschlang, die Seraphina ihm lieferte -Bücher, Tonaufzeichnungen von Liedern und oraler Literatur, Dokumentarfilme und -videos, Fotos, und was immer sie sonst noch an Fragmenten der Vergangenheit ausleihen oder stehlen konnte. Während die Input-Phase lief, stellte sich Seraphina immer einen Tresorraum aus brüniertem Chrom vor, der sich langsam mit Diamanten und Rubinen füllte; ob und wann jemand kommen würde, um die Edelsteine zu bergen, wußte sie nicht, aber zumindest lag der Schatz in Sicherheit.
Morris hatte gesagt, er arbeite an einigen möglichen Anwendungen für das angehäufte Wissen, aber solange er nicht mit einer besseren Idee aufwartete, war Seraphina vollauf damit zufrieden, es zum Geschichtenerzählen zu benutzen. Sie schloß den Wissensspeicher an einen maschinellen Interpreter an und den Interpreter an die FREUNDe, die dann eine Art volkstümliches Historienspiel aufführten: eine dramatisierte Wiedergabe des von ihr jeweils ausgewählten Themas. FREUND Biber mußte alle Schurkenrollen spielen. Schurken und Helden gab es in diesen Historienspielen mehr als genug - nicht zuletzt, weil der Interpreter keinerlei Versuch unternahm, das Quellenmaterial nach tendenziösen Tendenzen zu sichten.
»Ich bin John Mercier«, fing FREUND Biber an, der mit einem unter seinem Schwanz eingestöpselten seriellen Kabel eine ziemlich alberne Figur abgab. »Ich bin der böse Aufseher der Slocum-Plantage, der häßlichste Mann auf der Welt. Ich habe schiefe haarige Zähne, und ich stinke wie das Hinterende eines Mastschweins.«
FREUND Wühlmaus trat vor; er hielt seine Pfötchen so vor seiner Brust, als spannte er unsichtbare Flosenträger oder hakte die Daumen in die Knopflöcher einer eingebildeten Jacke. »Ich bin Neptune Frost«, sagte er, »ein Freigelassener aus Boston, ein Schüler überzeugter Abolitionisten und ein großer Verehrer John Browns und der ehrenwerten Miss Harriet Beecher Stowe.
Als ich eines Nachts über das Boston Common ging, trat ein Mann auf mich zu und sprach mich auf die Farbe meiner Augen an. In demselben Augenblick, als ich stehenblieb, um ein paar Worte mit ihm zu wechseln, bekam ich von hinten einen Schlag über den Kopf. Als ich wieder zu mir kam, lag ich, gefesselt und geknebelt, im Stauraum eines Schiffes, unterwegs zu einem Leben als Sklave in North Carolina.«
FREUNDin Eichkätzchen trat als letzte vor. Ihr hatte Morris keine Sprachfunktion einprogrammiert, deswegen mußte ihr Gefiepe und Gekecker zwecks Ubersetzung an den Interpreter zurückgegeben werden. Ein Plastikkügelchen flüsterte Seraphina akustische Untertitel ins Ohr: Ich heiße Carrie Slocum. Ich wurde von einem fernen Ort, dessen Name verschollen ist, verschleppt und zur Slocurn-Plantage gebracht. Die Leute sagen, daß in meinen Augen die Farbe jenes fernen Landes weiterlebt.
FREUND Biber packte FREUND Wühlmaus am Ellbogen. »Daß du mir keinen Arger machst, du >Freigelassener Die prospektiven Begründer des Stammes mit den grünen Augen starrten sich gegenseitig schüchtern an. FREUND Wühlmaus ergriff als erster das Wort:
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