Gast im Weltraum
dachte kaum an sie. Nur hin und wieder, wenn er nachts im Schein der Lampe an seinem Schreibtisch saß und über seiner Arbeit brütete, glitt sein Blick in einer Ruhepause zwischen zwei Problemen über die weißen Bogen und den Rand des Tisches hinweg, dorthin, wo das Dunkel begann, leer, öde und schwarz wie der Weltraum. Dann überfiel ihn das Leid so jäh, so stark, daß ihm das Atmen schwer wurde. Er sank in sich zusammen, vertiefte sich in seine Berechnungen, wiederholte, ohne recht zu begreifen, die letzten Formeln und Zahlen.
Ein Studienjahr nach dem anderen ging dahin. In einer Zweigstelle des Astronautischen Instituts beendete Pjotr seine Diplomarbeit und kehrte auf die Erde zurück, um sie seinem Lehrer Dyaadik zu überreichen. Er wollte noch an demselben Tage zurückfliegen, traf aber einen älteren Kollegen, der ihm halb im Scherz vorwarf : „Es ist nicht schön von dir, daß du dich bei uns nicht mehr sehen läßt. Mein Töchterchen wartet noch immer auf das versprochene Märchen.“
„Wenn ich der Kleinen versprochen habe, eins zu erzählen, dann entschuldige mich bitte bei ihr und sag ihr, daß ich morgen komme“, antwortete Pjotr.
Da er bis zum Abend einige Stunden Zeit hatte, ging er in den großen Park des Instituts. Dort begegnete er dem Mädchen, das er vor zwei Jahren zum letztenmal gesehen hatte. Sie freute sich sehr und schlug ihm einen gemeinsamen Ausflug in ein nahe gelegenes Naturschutzgebiet vor. Den ganzen Nachmittag wanderten sie über die Heide. Das Mädchen pflückte einen großen Strauß Blumen. Endlich ließen sie sich, vom Weg ermüdet, auf dem grasbedeckten, sonnenwarmen Südhang eines Hügels nieder, um auszuruhen. Die Sonne ging unter, und ein erster kühler Lufthauch, der die Nacht ankündete, rauschte durch das Laub. Plötzlich erleuchtete ein beinahe unerträglicher Glanz den Himmel. Ein blendender Lichtstrahl schoß zu den Wolken empor und verschwand. Kurze Zeit später vernahmen die beiden ein wachsendes Dröhnen, es klang wie der Donner eines fernen Gewitters.
„Das war die letzte Mondrakete“, unterbrach das Mädchen das Schweigen. „Sie ist ohne dich abgeflogen. Bleibst du morgen noch auf der Erde?“
Er antwortete nicht. In der nächtlichen Finsternis verschwamm das Gesicht des Mädchens wie ein Bildwerk, das von dunklem Wasser umspült wird. Eine Weile noch leuchtete ihr Antlitz wie ein phosphoreszierender Fleck, dann erlosch es ganz. Die Nacht trennte die beiden, so daß er nicht mehr wußte, ob unter dem Gebüsch neben ihm ein zweites lebendes Wesen war. Er schwieg, als fürchtete er, ins Leere zu sprechen. Reglos saß er da, nur sein Blick irrte umher. Selbst die Luft schien sich in eine unwägbare Substanz verwandelt zu haben, die mit schwarzen Fäden alles zu formlosen Schemen verspann. Nur das Flüstern des unsichtbaren Laubes verriet ihm, daß Leben rings um ihn war.
In dem leichten Rauschen lag etwas unsagbar Gleichgültiges und zugleich Grausames.
Lange herrschte das lastende Schweigen. Schließlich traf ein lautes Rascheln sein Ohr. Sie stand auf. „Wir müssen gehen, es ist spät“, sagte sie mit gedämpfter Stimme, als wäre ein Fremder in der Nähe, der ihre Worte nicht hören sollte.
„Schade, daß ich keinen Helioplan genommen habe. Wir könnten nun gleich zurückfliegen“, erwiderte Pjotr und erhob sich ebenfalls.
„Ach, das macht nichts… Aber – sag mal, Pjotr, aus welcher Richtung sind wir eigentlich gekommen? Ich weiß es nicht.“
„Wir müssen uns nach den Sternen orientieren und eine Station des Vakuumexpresses suchen. Die Linie verläuft hier in der Nähe. Komm, gehen wir. Siehst du den Großen Bären? Dort, weiter oben, ist der Polarstern.“
Bald standen sie auf einer sanftgeneigten, kahlen Kuppe, dem Gipfel des Hügels. Das schwache Flimmern der Sterne vertiefte die Dunkelheit.
Als sie die Richtung festgestellt hatten, stiegen sie den Hang hinunter. Ihre Füße versanken in dem hohen, taufeuchten Gras, das unter ihren Schritten raschelte.
„Hast du schon gehört“, fragte sie, „daß kein Wasser aus den Ozeanen mehr über den Bereich der Erde hinausgeschleudert wird?“
„Du meinst den Plan der Vergrößerung der Kontinente?“
„Ja. Bisher wurde das Wasser nutzlos in den Weltraum geschleudert. Vor kurzem hat das Aerologische Institut vorgeschlagen, mit diesem Wasser die trockenen Planeten zu versorgen… Gib acht! Ich glaube, hier stehen Wacholdersträucher, ich habe mich gestochen. Ach, hier ist ja ein
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