Gast im Weltraum
Kocher eine nahrhafte Suppe. Bei dieser Beschäftigung kam mir plötzlich der Gedanke: Wenn er stirbt, dann kann ich hinausgehen und die Antenne in Ordnung bringen.
Ich zuckte zusammen, als wäre er imstande, mir ins Herz zu blicken und diesen Gedanken zu lesen. Ich bemühte mich krampfhaft, ihn in das Dunkel zurückzudrängen, aus dem er entstanden war, aber er kehrte immer wieder.
Ich reichte Zorin das fertige Essen. Als er fragte, weshalb ich noch bei ihm säße und die Zeit vertrödelte, stieg ich hinauf und hockte mich vor den stummen Apparat. Zwanzig furchtbare Minuten wartete ich, dann ging ich wieder hinunter und erzählte dem Sterbenden ein neues Märchen von den Bewohnern des weißen Planeten, von ihrer hervorragenden, wunderbaren Zivilisation und davon, daß in Zukunft nicht unsere kleine Station auf dem Planetoiden, sondern die mächtigen Radargeräte des Planeten die irdischen transgalaktischen Raketen auf dem Flug zu den Magellanschen Wolken lenken und leiten würden.
Am achten Abend wurde das Beben des Bodens schwächer, der Meteorfall ließ nach. Eine Stunde nach Sonnenuntergang war es ruhig und still. Der Zustand Zorins war aber so ernst, daß ich unser Stahlhaus nicht verlassen konnte. Er fragte nichts mehr. Seine Lider waren geschlossen, seine Züge schienen aus Stein gemeißelt. Von Zeit zu Zeit ergriff ich behutsam seine Hand. Sein starkes Herz kämpfte noch immer. Spät in der Nacht sagte er plötzlich: „Die Märchen… erinnerst du dich?“
„Gewiß.“
„Die Kinder wollten – keine traurigen… Märchen hören, deshalb habe ich… einen lustigen Schluß… hinzugedichtet.“
Ein kalter Schauer überrieselte mich. Was wollte er damit sagen?
Der Atem hob und senkte unregelmäßig, stoßweise seine breite, gewölbte Brust. Auf einmal flüsterte er: „Schiffchen… solche… kleine Schiffchen…“ „Was meinst du?“
„Aus… Birkenrinde… habe ich… geschnitzt… Kleiner… gib mir..“ „Hier – hier gibt es keine Birkenrinde, Zorin.“
„Ja… ich weiß… aber Zweige… Flieder… gib sie mir.“
Ich sprang auf und lief an den Tisch. Das Bündel trockener Zweige stand noch immer in dem Glasgefäß. Als ich zurückkam, lebte er nicht mehr.
Ich verhüllte sein Gesicht, ging langsam, leise, als wollte ich seinen Schlaf nicht stören, hinaus, zog den Skaphander an, nahm Werkzeug mit und machte mich auf den Weg zum Bunker der Automaten. In drei Stunden reparierte ich mit ihnen die Bruchstellen des Mastes und wechselte die beschädigten und gerissenen Halteseile aus. Dann richteten wir die Antenne auf und verankerten sie. Das alles tat ich wie in einem sonderbaren, aber erschreckend wirklichen Traum. Nur im tiefsten Grunde des Denkens lebte die Überzeugung, daß ich aus ihm aufwachen würde, wenn ich es mit aller Kraft wünschte.
Ich kehrte in die Unterkunft zurück, lief in die Sendekabine und schaltete die Geräte ein. Der Lautsprecher brummte, und plötzlich hörte ich die mit starker, klarer Stimme gesprochenen Worte:„… und viermal die Koordinaten. Heute morgen um sechs Uhr Schiffszeit steuerte die Gea euren Kurs an und wird den Planetoiden in zwölf Tagen erreichen. Wir sind über euer Schweigen beunruhigt und werden euch einen Tag lang anrufen. Hier spricht Yrjöla an Bord der Gea, am sechsten Tage nach der Aufnahme der Verbindung mit dem weißen Planeten. Nun wird Anna Ruys sprechen.“
Der Lautsprecher klirrte und verstummte. Ich hatte die letzten Worte gar nicht mehr vernommen, das Blut sauste mir in den Ohren. Ich sprang auf, stürzte zur Tür hinaus, lief die Treppe hinunter und schrie: „Ich habe nicht gelogen, Zorin! Ich habe nicht gelogen! Es ist alles wahr! Alles ist wahr!“
Ich umfaßte den schweren Körper, rüttelte ihn, so daß das helle Haar über das Kopfkissen fegte.
Endlich ließ ich Zorin auf das Bett zurücksinken. Kraftlos fiel der Kopf auf das Kissen. Schluchzend sank ich vor dem Toten auf die Knie. Etwas, was ich anfangs nicht begriff, rüttelte an meinem Bewußtsein, rief, flehte, bat… Ich erwachte aus meiner Verzweiflung. Anna… Anna war es, die Stimme Annas. Ich wollte die Treppe hinauflaufen, wagte aber nicht, Zorin allein zu lassen. Langsam tastete ich mich rückwärts auf die Treppe zu und ließ seine erstarrten Züge nicht aus den Augen. Da rief mich Anna mit meinem Vornamen. Ich wandte mich von dem Toten ab und stieg zur Kabine hinauf. Ihre Stimme wurde mit jedem meiner Schritte lauter, klarer, deutlicher. Ich blickte auf.
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