Gauck: Eine Biographie (German Edition)
Steuermann oder Kapitän ausgebildet wurden. Gauck senior hatte dort bereits seine Ausbildung zum Steuermann absolviert, jetzt wollte er das Kapitänspatent erwerben.
1940 war es geschafft, und Gauck durfte sich fortan »Kapitän auf großer Fahrt« nennen. Aufgrund des Krieges kam es aber nicht mehr dazu, dass er sein eigenes Schiff führen konnte. Unmittelbar nach dem Abschluss seiner Ausbildung begann für ihn der Krieg. Viele Seeleute, die in Wustrow ihre Ausbildung absolviert hatten, blieben im Anschluss mit ihren Familien vor Ort. Auf diese Weise hatte sich in dem Dorf mit der Zeit eine kleine Kolonie von Kapitänen entwickelt. Diese Schiffsführer dachten konservativ. »Man« war in der NSDAP – Gauck seit 1934 – »man« meldete sich freiwillig zum Dienst in der Kriegsmarine.
Am 1. August 1940 wurde der vierunddreißigjährige Gauck senior als einfacher Matrose zur Kriegsmarine eingezogen. Nach sechs Monaten Grundausbildung, die er in zwei Kasernen auf Rügen und in Neustadt in Holstein verbrachte, wurde er Reserveoffiziersanwärter. Seinen höchsten Dienstrang erlangte er am 1. August 1943 als Ober 28 leutnant zur See der Reserve. Während seines fünfjährigen Kriegseinsatzes stand ihm das Glück zur Seite – er musste während des gesamten Krieges nie an einer Front kämpfen und nicht einen Schuss auf den Feind abgeben. Über die Jahreswende 1940/41 war er für zwei Monate vor der dänischen Westküste eingesetzt, um von Bord eines Kutters aus Seeminen zu bergen und unschädlich zu machen. Für Wilhelm Joachim Gauck war dieser Einsatz ein »Dienst als Matrose Arsch«, wie er es selbst beschrieb. Er habe sich mit seinen Kameraden »immer fürchterlich betrunken«, wenn es einmal gelungen sei, eine Mine aufzuspüren und zu entschärfen. Das Vaterland ehrte ihn für diesen heroischen Einsatz im August 1941 mit dem Blockadebrecher-Abzeichen, einer im Dritten Reich massenhaft vergebenen Plakette für die Durchbrechung alliierter Blockaden auf See.
Am 30. Januar 1944 kam ein zweiter Orden hinzu: Das an 2,7 Millionen Zivilisten und Wehrmachtsangehörige verliehene Kriegsverdienstkreuz Zweiter Klasse. Es wurde für zivile Leistungen oder den Einsatz im Bereich der militärischen Versorgungseinheiten vergeben. Gauck war zu diesem Zeitpunkt als Ausbilder an einer Steuermannsschule im von den Deutschen besetzten Polen eingesetzt. Frontsoldaten machten sich über diese Ehrung als »Nichteinmischungsorden mit Essbesteck« lustig.
Unterm Strich hatte die Familie von Joachim Gauck während des Krieges Glück. Es gab keine Gefallenen zu beklagen, und die materiellen Schäden hielten sich in Grenzen. Rostock wurde als eines der Zentren der deutschen Rüstungsindustrie mehrfach durch die Alliierten bombardiert und schwer getroffen. Nach einem Großangriff der Royal Air Force, Ende April 1942, war die Hälfte der historischen Altbausubstanz beschädigt oder zerstört. Das Haus der Warremanns in Brinckmansdorf wurde zwar durch eine 29 Bombe beschädigt, konnte aber umgehend wieder repariert werden.
7 Im Garten der Großeltern Warremann mit Cousin Gerhard (rechts)
Für Joachim Gauck sollte es später noch wichtig werden. Nach dem Krieg zog seine Mutter 1945 mit ihm und seinen beiden jüngeren Geschwistern wieder zu ihren Eltern nach Brinckmansdorf, weil die Möglichkeiten, ihre Familie zu 30 versorgen, hier besser waren als in Wustrow. Ende der fünfziger Jahre wohnte Joachim Gauck als Theologiestudent erneut dort. Frisch verheiratet bezog er damals mit seiner Frau Hansi einen Raum im Keller des Hauses.
Der erste Sohn
Die Geburt des ersten Kindes von Olga und Wilhelm Joachim Gauck ließ nicht lange auf sich warten. Am 24. Januar 1940 kam Joachim zur Welt, dreitausenddreihundert Gramm schwer, fünfzig Zentimeter groß. Die Freude der Mutter über »Bübchen« – so nannte sie ihren neugeborenen Sohn – war groß, wie sich dem zu seiner Geburt angelegten Fotoalbum entnehmen lässt. Olga Gauck nutzte es nicht nur für Fotos des Säuglings, sondern notierte darin auch Ereignisse, die ihr bemerkenswert erschienen. Beispielsweise die Tatsache, dass Joachim drei Tage nach seiner Geburt an einer Gelbsucht erkrankte. Besondere Mühe gab sich die Mutter, in Form langer Listen täglich die Größe und das Gewicht ihres Sohnes zu dokumentieren.
Bei der Erziehung ihres Ältesten spielte für Olga Gauck das im Dritten Reich populäre Buch Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind von Johanna Haarer eine wichtige Rolle.
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