Gauck: Eine Biographie (German Edition)
Bundesbeauftragter für die Stasiunterlagen jahrelang im Scheinwerferlicht der internationalen Medien und war den kritischen Fragen ihrer Journalisten ausgesetzt. Das Ergebnis ist, dass Gauck heute scheinbar locker und frei von der Leber weg spricht und zugleich alles, was er sagt, druckreif ist. Dabei verwendet er nicht die übliche, genormte Sprache der Politik, sondern hat seine eigene, authentische Klangfarbe. Dennoch ist alles, was er mitteilt, vollkommen kontrolliert. Er gibt nichts preis, womit er nicht zitiert werden könnte. Das ist eine Fähigkeit, die in dieser Perfektion nur wenige beherrschen.
Dennoch: Hinter der offiziellen Rolle, die sein Amt von ihm fordert, bleibt das Ich von Joachim Gauck unverkennbar. Seine Identität schimmert durch den Habitus des Bundespräsidenten hindurch. Wenn es etwa um seine Gegner geht, wie den letzten DDR -Innenminister, Peter-Michael Diestel, richtet sich Gauck innerlich auf. »Wer kennt den denn heute noch?«, fragt er mit aggressivem Unterton. »Die 10 sem Typen sollte man nicht zu viel Raum einräumen.« Ähnliches erlebe ich, als ich nach der Adresse eines Verwandten von ihm frage, den ich gerne interviewen würde. »Was wollen Sie denn von dem«, reagiert er gereizt. Er möchte nicht, dass ich mit dem Betreffenden rede. In Joachim Gauck wohnt unübersehbar auch ein cholerisches Element, das er nicht verbergen kann. Dabei braust er nicht auf oder wird gar laut. Es gärt nur sichtbar in ihm, wenn er auf vergangene Ereignisse angesprochen wird, die ihn emotional berühren. Er atmet dann heftig und knurrt auch schon mal.
Ich berichte ihm von Manfred Manteuffel, Ende der achtziger Jahre Kirchenreferent beim Rat der Stadt Rostock und staatlicher Ansprechpartner für die Kirchenleute in Rostock. Die Stasi führte ihn unter dem Decknamen »Scheeler« als Inoffiziellen Mitarbeiter. Gaucks Augen verengen sich. »Und was halten Sie von dem?« Ich habe meine Antwort noch nicht zu Ende gesprochen, als der Bundespräsident schon zustimmend nickt. Er denkt ungeheuer schnell, und sein Erinnerungsvermögen an Namen und Ereignisse ist erstaunlich. Diesbezüglich verfügt er über besondere Gaben. Bei unserer dritten Begegnung erlebe ich eine große Überraschung. Kaum haben wir uns gesetzt, packt er aus seiner Tasche persönliche Unterlagen aus. Alte, abgelaufene Reisepässe und Personalausweise der DDR und der Bundesrepublik. Seinen handschriftlich geführten Kalender des Jahres 1989. Ein Fotoalbum Unser Kind mit Babyfotos und Kommentaren seiner Mutter Olga über seine ersten Lebenswochen und -monate. Ein weiteres Fotoalbum mit Bildern des Jugendlichen. Wir blättern gemeinsam durch die Alben, und er erklärt mir die verschiedenen Situationen, in denen die Bilder entstanden sind. Dann drückt er mir alles in die Hand. Ich darf die Sachen mitnehmen – einfach so. »Das ist ein großer Vertrauensvorschuss, den ich Ihnen hiermit ent 11 gegenbringe«, sagt er dabei streng und sieht mich fast grimmig an. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt, wie Joachim Gauck in Sekundenbruchteilen zwischen herzlich und hart hin- und herwechselt. Schon beim nächsten Satz strahlt er wieder über das ganze Gesicht. »Aber ich habe ja gehört, dass Sie seriös sind.« Er lacht.
Im Anschluss an diesen Termin warten Diplomaten auf ihre Akkreditierung. Der Zeitrahmen für unseren Termin ist bereits um zehn Minuten überzogen, als zum ersten Mal eine Mitarbeiterin des Bundespräsidialamtes ein Zeichen gibt, dass er zur nächsten Verpflichtung muss. Nach fünfzehn Minuten tritt sie erneut ein, diesmal energischer. »Herr Bundespräsident, es ist Zeit, Sie müssen sich noch umziehen und zu Mittag essen.« Gauck, ein wenig widerwillig: »Ach, dann lassen wir das Mittagessen weg.« Seine Mitarbeiterin fürsorglich: »Nein, das geht bis in den späten Nachmittag, Sie müssen etwas essen.« Gauck ist trotz sichtbarer Terminnot und Zeitdrucks fast verzweifelt bemüht, mir jede Minute zu widmen, die ihm möglich ist. Nachdem er sich einmal entschieden hat mitzuwirken, tut er es nicht mit angezogener Handbremse. Wenn schon, dann richtig.
Bei anderer Gelegenheit klingelt mein Telefon. Anrufer unbekannt. Ich nehme ab, der Bundespräsident ist am Apparat. Direkt, ohne vermittelnde Sekretärin: »Herr Frank, wir sind heute verabredet, ich muss mich entschuldigen, es geht leider nicht. Bitte nehmen Sie mir das nicht übel, wir machen schnell einen neuen Termin, vielleicht schon diese Woche, aber heute geht es
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