Gebieter der Träume
ihn an. »Du hast wohl keine Ahnung, wovon ich rede, oder?«
»Nein, das habe ich nicht. Ich meine, ich weiß schon, was eine Familie ist, aber unsere Familien auf dem Olymp funktionieren nicht so wie deine, und wir stehen einander auch nicht so nahe.«
»Was ist zum Beispiel mit deiner Mutter?«, fragte Geary. »Sie hat sich doch sicher um dich gekümmert?«
Er nickte. »Klar, sie hat mich zur Welt gebracht.«
»Und dann?«
»Dann wurde ich Bediensteten übergeben, die sich um meine Bedürfnisse gekümmert haben, bis ich alt genug war, um ausgebildet zu werden.«
»Ja, aber hat dich nicht einer von den Bediensteten geliebt?«
Er runzelte die Stirn. »Es waren Diener, Megeara, und sie gehörten nicht zur Familie. Liebe gab es da nicht, und wenn es sie gegeben hat, war ich zu klein, als dass ich mich daran erinnern würde.«
»Wie alt warst du?«
Arik saß da und dachte nach, aber es fiel ihm nichts dazu ein. Er hatte nicht besonders viele Erinnerungen an seine Kindheit, und als er sich darum bemühte, sich an jemanden zu erinnern, der sich um ihn gekümmert hatte, fiel ihm niemand ein. »Ich kann mich einfach nicht erinnern. Es ist eben immer schon so gewesen, da bin ich sicher keine Ausnahme. Ich erinnere mich, ehrlich gesagt, an gar nichts aus meiner Kindheit, nur an meine Ausbildung.«
Geary tat ihr Bestes, um diese Welt zu begreifen, aber für sie ergab das alles keinen Sinn. »Und was war das für eine Ausbildung?«
Er seufzte, als würde ihn dieses Thema nerven. »Obwohl wir verflucht sind, haben wir doch bei unserer Geburt noch einige wenige Emotionen. Davon werden wir frei gemacht. Dann müssen wir lernen, wie man in Träume eindringen kann und was genau uns darin erlaubt und was verboten ist. Dann müssen wir lernen, wie man mit den Skoti kämpft, die die Kontrolle über den menschlichen Träumer haben wollen und uns bis aufs Messer bekämpfen. Es dauert Jahre, bis wir unsere Kräfte ganz beherrschen, und es ist alles sehr kompliziert.«
So klang es auch. Aber ein Teil seiner Erklärung blieb ihr ganz besonders in Erinnerung. »Und wie nehmen sie euch die verbliebenen Gefühle ab?«
»Normalerweise werden sie aus uns herausgeprügelt«, sagt er tonlos. »Es läuft tatsächlich ab wie mit dem Pawlowschen Hund: Wenn du ein Gefühl zeigst, ist die Bestrafung so hart, dass du lernst, dass es besser ist, nicht zu fühlen, als unter den Konsequenzen zu leiden.«
»Und versagt diese Prozedur manchmal?«
»Manchmal.«
»Und was passiert dann?«
»Dann werden wir getötet.«
Sie hätte nicht überraschter sein können, wenn er ihr eine Ohrfeige gegeben hätte. »Du machst wohl Witze?!«
»Nein«, sagte er völlig ernst.
Geary war fassungslos über seinen leicht gelangweilten Tonfall und darüber, dass ein Oneroi einfach getötet wurde, wenn er über Gefühle verfügte. Das war grausam. »Und das akzeptiert ihr einfach?«
Er schien über ihren Standpunkt genauso verblüfft zu sein wie sie über seinen. »Haben wir denn eine andere Wahl? Wir könnten höchstens eine Revolte gegen Zeus anzetteln.«
»Vielleicht ist es ja an der Zeit, eine Revolte anzuzetteln.«
Er machte sich über ihren Zorn lustig. »So einfach ist das nicht. Die Götter haben ein Gleichgewicht der Macht hergestellt, und man muss außerordentlich vorsichtig sein, wenn man daran rührt. Eine falsche Intervention – und die ganze Welt könnte zerstört werden. Was würde ein Umsturz bringen, wenn wir alle hinterher tot wären?«
So ungern sie es auch zugab: Damit hatte sie die Auseinandersetzung verloren. »Da hast du verdammt recht.«
»Allerdings.«
Geary öffnete die Tür und stieg aus dem Auto, während seine Worte sie weiterhin verfolgten. Armer Arik! Sie musste ihn aus dem Albtraum retten, in dem er gefangen war. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, ihn wieder diesem Leben zu überantworten, wo es niemanden gab, der sich um ihn kümmern, der ihn in den Arm nehmen und ihn lieben würde. Es war einfach nicht richtig.
»Warum sind die Götter so gleichgültig unserem Leid gegenüber?«, fragte sie, als er um das Auto herumkam und neben ihr stand.
Er nahm ihre Hand, bevor er antwortete. »Die ganze Welt ist voller Leid. Wenn man sich dem einfach so öffnet, wird sogar ein Gott nicht damit fertig. Aber die Götter sind nicht alle gefühllos. ZT ist zum Beispiel einer, der sich um andere kümmert.«
»Hast du nicht gesagt, er ist kein Gott?«
»Das ist richtig. Technisch gesehen ist er ein Mensch, aber er hat die
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