Gebieter des Sturms (German Edition)
regloses Gesicht, als wäre er ein Code, den sie nicht entziffern konnte. »Aber zum Teil liegt es auch bei ihm. Wenn sein Geist beschließt, loszulassen und davonzugleiten, kann ich nichts dagegen tun.«
Tiagos Gesicht verschwand in einem wässrigen Schleier. Niniane wischte sich die Wange an der Schulter ab. »Er hat gesagt, er wird kämpfen«, flüsterte sie. »Er wird kämpfen.«
Rune und Aryal gingen in die Hocke und blickten einander an. »Niniane hat Naidas Tasche durchsucht«, sagte Rune. »Aber nicht Naida oder Durin selbst.«
Die beiden Wächter sprangen auf. Rune landete neben Durins Leiche, und Aryal stürzte sich auf die am Boden liegende Naida.
Du hast geschworen, mich nicht zu verlassen, sagte Niniane zu Tiago. Du hast mich dazu gebracht, an dich zu glauben. Du hast mich dazu gebracht, dich zu lieben. Versprechen sind ja gut und schön, Mister. Jetzt ist es Zeit, sie einzulösen. Ich kann … ich könnte es nicht ertragen, wenn du es nicht tätest.
Aryal stieß einen schrillen, triumphierenden Falkenschrei aus. Die Harpyie sprang auf die Füße, rannte zu Tiago und landete auf den Knien rutschend neben ihm. Ihre langen Hände verschwammen vor Ninianes Augen, während sie die Fesseln öffnete. Dann kam auch Rune zu ihnen, und gemeinsam mühten sie sich ab, die Fesseln unter Tiagos Körper wegzuziehen. »Bring sie fort«, befahl Carling.
Aryals stürmischer Blick blieb für einen winzigen Moment an Ninianes hängen. Dann wirbelte sie herum, die Fesseln fest in einer Hand, und war verschwunden.
Carling sagte: »Ich muss ihn aus der Starre holen und dann den Heilungszauber aussprechen. Wenn Sie glauben, dass die Götter an unserem Leben Anteil nehmen, wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, um zu beten.«
O ihr Götter, bitte! Bitte! Sie legte die ganze Kraft ihrer Panik in dieses Gebet. Dann drückte sie ihre Lippen auf Tiagos Stirn und sagte zu ihm: Tiago, du musst bei mir bleiben.
Carling sprach noch schneller als zuvor. Die leisen, mit Magie angefüllten Worte ließen die Welt erzittern, brachten Ninianes Knochen zum Vibrieren und ließen Tiagos Körper in goldenem Licht erstrahlen. Sein Rücken krümmte sich, und er rang nach Atem, als sich sein Gesicht vor Schmerz verzerrte. Niniane schlang die Arme um ihn und wiegte ihn. Er wandte den Kopf, um das Gesicht an ihrer Brust zu bergen, während sich seine klauenbewehrten Finger in den Boden gruben.
Sie erinnerte sich an die Qualen ihrer eigenen Heilung. Ihre Wunde war so viel kleiner gewesen als seine. Sie litt mit ihm, bis die Anspannung nach und nach aus seinem Körper wich. Schließlich kam er zur Ruhe, und die Konturen seines Gesichts und seines Körpers glätteten sich wieder.
Ich habe dir mehr als einmal gesagt, Fee, dass ich dich nicht verlassen werde. Er sprach, als hätte er jedes ihrer Worte gehört und wollte das Gespräch fortsetzen. Seine mentale Stimme lallte, sein Blick war unfokussiert. Eines Tages wirst du es mir glauben.
Sie stieß ein schluchzendes Lachen aus und zog ihn fester an sich. Ich glaube, dieser Tag könnte heute sein. Ich glaube, er ist heute.
Wieder verlor er das Bewusstsein. Carling klang zuversichtlich, als sie sagte, dass die Gefahr vorüber sei, aber Niniane konnte sich erst entspannen, nachdem sie sein blutgetränktes T-Shirt aufgerissen und die glänzende Narbe der Schwertwunde mit eigenen Augen gesehen hatte. Sie war etwa sieben oder acht Zentimeter lang und sah auf der gebräunten Haut seines muskulösen Oberkörpers beinahe silbern aus. Sie legte die Finger darauf. Am Rücken, wo die Klinge aus seinem Körper ausgetreten war, würde noch eine solche Narbe zu finden sein.
Ein ernst dreinblickender Hefeydd und drei weitere Dunkle-Fae-Soldaten kamen mit einer Trage herbei, die sie aus Decken und zwei Stangen improvisiert hatten. Unter Ninianes ängstlicher Überwachung hoben sie Tiago darauf. Ihre Hand ruhte die ganze Zeit auf seiner Schulter, während er zurück ins Lager getragen wurde. Aryal und Rune liefen wachsam neben ihnen her. Die Träger brachten Tiago unaufgefordert in Ninianes Zelt. Sie wies sie an, ihn auf ihr Bett zu legen, und sie taten es behutsam.
»Machen Sie bitte etwas Wasser heiß, damit ich ihn waschen kann«, sagte sie, ohne ihre Aufmerksamkeit von Tiago zu lösen.
»Ja, Ma’am.« Sie hob den Blick, als Hefeydd zögerte. Zwischen den Brauen des Dunklen Fae zeigte sich eine Falte. Er sagte: »Wenn es Ihnen recht ist, Hoheit, würden wir gern helfen. Können wir noch etwas für Sie
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