Gebieter des Sturms (German Edition)
stehenden Mund gewichen. Tiago blickte ihn finster an, dann hörte er ein Geräusch. Noch bevor Niniane oder Hughes reagieren konnten, hatte er Niniane auf dem Sofa abgelegt, nach seiner Glock gegriffen und schritt den Flur entlang.
Kurz bevor er an der Tür war, klopfte jemand.
»Was?«, fragte er, ohne zu öffnen.
»Der Hotelarzt ist hier.«
Er trat zur Seite und beugte sich vor, um durch den Spion sehen zu können. Die Mitarbeiter des Hotelsicherheitsdiensts, beziehungsweise die verdeckten Ermittler, standen ein Stück von der Tür entfernt in Sichtweite des Spions. Zwischen ihnen stand ein dünner, intelligent aussehender Mann, der eine Tasche trug. Selbst durch die Tür konnte Tiago das Flüstern der magischen Energie dieses Mannes wahrnehmen. Der Arzt war ein Hexer.
Auch Hughes war in den Flur gekommen. Tiago deutete auf die Tür. »Identifizieren Sie diesen Mann«, sagte er.
Der Direktor blickte durch den Spion. »Das ist Dr. Weylan, derjenige, den ich habe rufen lassen. Das Hotel arbeitet jetzt schon seit mehreren Jahren mit ihm zusammen.«
Tiago öffnete die Tür, bedeutete dem Arzt einzutreten und schloss hinter ihm wieder ab. Dann packte er den Arzt an der Kehle, drückte ihn gegen die Wand und machte ihn mit der Glock bekannt.
»Folgende Regeln«, sagte er. »Keine zweiten Chancen. Ich stehe schon länger auf dem Schlachtfeld, als Sie am Leben sind. Ich habe Triagen durchgeführt und bin mit medizinischen Verfahren bestens vertraut, auch mit magischen. Sie wollen nicht, dass ich irgendetwas von dem missverstehe, was Sie tun. Wenn mir etwas auch nur im Mindesten merkwürdig vorkommt, sind Sie tot. Und ich werde deswegen keine Sekunde lang schlecht schlafen. Verstanden?«
Der Arzt war bleich geworden. Er nickte. Hughes starrte ihn an, und aus dem Wohnzimmer rief Niniane: »Tiago!«
Er hob die Stimme und rief zurück: »Fassen wir zusammen, Eure Streitsüchtigkeit. Es gab zwei Mordanschläge in weniger als sechsunddreißig Stunden. Du lässt nicht zu, dass ich dich zurück nach New York bringe, also herrscht hier das Recht der Schrotflinte, bis wir eine sichere Ausgangsbasis geschaffen haben.« Etwas ruhiger sagte er zu dem Arzt: »Haben Sie das verstanden?«
»Ja, tatsächlich, das habe ich«, sagte der kleinere Mann. Tiago lockerte seinen Griff um die Kehle des Mannes. Ruhige, scharfe Augen blickten in seine. Der Arzt lächelte ihn angespannt an. »Sie haben Ihren Standpunkt deutlich gemacht. Lassen Sie mich jetzt tun, weswegen ich hier bin, und die Patientin behandeln.«
Tiago atmete tief ein und trat einen Schritt zurück. Auf sein Bauchgefühl zu vertrauen, hatte ihm ein langes Leben beschert. Dieses Bauchgefühl sagte ihm, dass Hughes echt war und dass sich der Arzt bei den Gästen dieses Fünfsternehotels schon oft genug bewährt haben musste.
Sein Bauch wusste auch, dass man jeden rumkriegen konnte, sei es durch Bestechung oder Nötigung, durch die Geiselnahme von Familienmitgliedern oder Geliebten oder durch religiöse oder politische Überzeugungen. Deshalb folgte er dem Arzt dicht auf den Fersen, als dieser das Wohnzimmer betrat, sich neben dem Sofa auf den Boden kniete und Niniane vorstellte, während er seine Tasche öffnete.
Wie er Niniane schon gesagt hatte, war das Leben nicht logisch. Oft war es voller Unsicherheiten. Und in diesem Augenblick war er sich nur einer einzigen Sache gewiss.
Dieses kleine, manipulative Betthäschen würde heute Nacht nicht sterben.
Das Schicksal aller anderen hingegen war vollkommen offen.
Niniane kuschelte sich unter die Decke und sah sich mit mattem Blick um. Das Hotel-Wohnzimmer schien unbedenklich zu sein. Es gab Stühle, das Sofa, Tische, einen Flachbildfernseher, die ganzen obligatorischen Bestandteile, doch ihr erschöpfter Geist schien keine Details aufnehmen zu können.
Sie musste eine komische Art Infektion haben, fand sie. Jemand hatte versucht, eine zusätzliche Dimension in ihren Kopf zu stopfen, aber sie passte nicht hinein. Zu laute Geräusche kamen und gingen. Ihr Blickfeld flimmerte an den Rändern.
Ihre Stichwunde schmerzte. Das Licht war zu grell, und ihre Augen schmerzten. Ihre Haut tat weh, das Atmen tat weh – verdammt, sogar ihre Haare taten weh. Sie fühlte sich, als hätte sie kaum genug Kraft, um nur auf dem Sofa zu liegen und zu leben.
Doch sobald Tiago in der Nähe war, schien sie jede Menge Kraft zu haben, um mit ihm zu streiten. Auf diese Art versuchten ihr die Götter offenbar zu sagen, wie sehr er im Unrecht
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