Gebieterin der Finsternis
Artemis befühlte die uralte Eichentür, die in den Erdtunnel hinunterführte. War es wirklich erst gestern, dass Niniane sie durch diese Tür gezerrt hatte? Das wollte sie kaum glauben.
Nachdem er den Efeu beiseitegestrichen hatte, verlagerte Mac Leanna so in seinen Armen, dass er nach dem Messingknauf greifen konnte. Die Tür schwang auf. Wortlos ging er voraus die enge Treppe hinunter.
»Ich kann sie nirgends sonst hinbringen«, antwortete er, als sie unten waren. Die Erdwände und herunterbaumelndenWurzeln dämpften seine sorgenvolle Stimme. »Sie braucht einen Ort, an dem viel Lebensmagie ist, damit sie wieder gesund wird. Annwyn wäre ideal, aber da würde Niniane sie nie hinlassen.«
»Aber Leanna ist ihre Tochter! Selbstverständlich lässt sie sie rein!«
»Nicht jede Mutter ist wie du, Süße. Glaub mir, Niniane will nichts mit Leanna zu tun haben. Ihr ist egal, ob sie stirbt. Ja, wahrscheinlich wäre sie sogar erleichtert.«
Der Tunnel gabelte sich. Ohne zu zögern, ging Mac nach links. Seine Schritte waren beschwerlich, und er rang zusehends nach Luft.
»Mac, geht es dir gut?«
Er ignorierte die Frage. »Ich will auch aus einem anderen Grund zu Kalen. Du möchtest gewiss so schnell wie möglich bei Sander sein, oder? Du willst doch da sein, wenn er wach wird.«
»Ja, na ja, schon, aber …«
»Kalen bringt dich schneller hin als jeder andere. Er kann translozieren, überallhin, und er kann eine Person mitnehmen. Bis nach Philadelphia braucht er nicht mehr als eine Viertelstunde, schätze ich.«
»Eine Viertelstunde? Du machst Witze, oder?«
Als er sie ansah, erkannte sie tatsächlich einen Hauch seines alten Grinsens. »Ich und Witze machen?«
Sie zog die Brauen hoch.
»Nein, das ist kein Witz, Süße. Du hältst schon sehr bald deinen Sohn in den Armen.«
Kapitel 24
Mac fühlte sich so alt wie der betagteste Sidhe-Älteste aller Zeiten. Nein, falsch, er fühlte sich
noch
älter. Von seiner Warte in Kalens Bibliothekssessel aus konnte er praktisch sehen, wie sich das Boot von Westen den Ufern seiner Seele näherte.
Saraids Worte gingen ihm abermals durch den Kopf.
Der Tod ist mächtig. Am Ende lässt er sich nicht abwehren
.
Ihm war höchst unangenehm bewusst, wie sehr Christine sich um ihn sorgte. Sie beobachtete ihn fortwährend, und er konnte noch nicht einmal die Energie aufbringen, ihr deshalb böse zu sein. Christine hatte nicht mit der Wimper gezuckt, als Mac vor ihrer Tür auftauchte und sie bat, Kalens frühere Geliebte aufzunehmen. Sie hatte nicht bloß prompt genickt, sondern sie führte auch noch ein mächtiges Heilritual durch. Und das war
bevor
Mac ihr erzählte, wie Leanna ihm gleich zweimal den Hals gerettet hatte. Christine war fürwahr eine einzigartige Frau.
Bei dem Gedanken wanderte sein Blick zu einer anderen einzigartigen Frau. Artemis war zum Glück zu sehr damit beschäftigt, möglichst schnell zu ihrem Sohn zu gelangen. Deshalb hatte sie ihn nicht weiter mit schwierigen Fragen darüber bombardiert, was sich in Luzifers Privatgemach abgespielt hatte. Im Moment lauschte sie Kalen gebannt, der ihr beschrieb, wie Translokation funktionierte, ein sehr seltenes magisches Talent, dessen der Unsterbliche sich rühmen durfte.
In der geliehenen Jeans und dem Pulli von Christine sah sie schlicht bezaubernd aus. Ihre dunklen Augen waren groß vor Angst, obwohl Kalen ihr beteuerte, dass die Reise durch einen Riss in Raum und Zeit vollkommen harmlos war. Und das bei einer Frau, die durch die Hölle gegangen war! Fast hätte Mac gelacht.
»Ehrlich«, erklärte Kalen. »Christine hält nichts von Translokationen, weil ihr dabei schlecht wird, aber sie sind völlig ungefährlich. Eine Fahrt auf der M25 um London herum ist um ein Vielfaches heikler.«
Nun brachte Mac tatsächlich ein Lächeln zustande. »Das stimmt, Süße. Da ist überhaupt nichts bei, ehrlich, vor allem nicht, wenn man bedenkt, was du in letzter Zeit erlebt hast. Mach einfach die Augen zu und denk dran weiterzuatmen. Kalen bringt dich geradewegs in Sanders Krankenzimmer.«
»So genau kannst du landen?«, fragte Artemis Kalen.
Der Unsterbliche nickte. »Wir können sofort aufbrechen, wenn du willst.«
»Ja! Ich meine, ich bin bereit. Außer …« Sie sah zu Mac. »Kommst du nach? Wenn Leanna dich nicht mehr braucht?«
»Klar doch, Süße.« Er hoffte, dass sie seine Lüge nicht bemerkte.
Offensichtlich nicht, denn Artemis nickte. Sie kam zu ihm und umarmte ihn.
»Ich werde dich jede Sekunde
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