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Gebissen

Gebissen

Titel: Gebissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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seine Kette aus der Wand gelöst, vielleicht war das Beben von vorhin schuld, dass sie sich gelockert hatte, vielleicht hatte auch nur das ständige Ziehen und Zerren etwas bewirkt. Auf jeden Fall stürzte der riesige Vampir jetzt herbei, den Mund gierig aufgerissen, Schaum tropfte von seinen Lippen.
    Sandy stieß Lisa weiter auf die schwarze Tür zu, in die äußerste Ecke der Halle, und zischte: »Bleib hinter mir.«
    Lisa drückte sich gegen die kahle Wand, ihr Herz schlug wild.
    »Halt!«, brüllte Sandy Jo entgegen und baute sich breitbeinig vor Lisa auf. »Sie gehört ihm. Du kannst sie nicht trinken.«
    Jo stürmte herbei, bremste keuchend direkt vor ihr ab und schlenkerte mit dem Kopf hin und her, lugte mal links, mal rechts an ihr vorbei, auch über sie hinweg; er war fast einen Kopf größer als Sandy. Gierig stierte er mit seinen hervorquellenden Augen auf Lisa. Sie waren braun wie dunkler Bernstein und doch eisig.
    »Durst«, presste er zwischen den rissigen Lippen hervor. Es war das erste klar artikulierte Wort, das Lisa von ihm hörte. Seine Stimme war ein tiefes raues Grollen, dunkler als der langgezogene Donner in einer Gewitternacht. Sie rollte über Lisa hinweg, und Lisa zuckte zusammen, als könnte sie jeden Moment der Blitz treffen.
    »Nein. Nicht sie«, erwiderte Sandy. Ihre Stimme zitterte, war jedoch laut und deutlich. Nicht einen Zentimeter wich sie zurück.
    »Niemand ist sonst hier. Du darfst sie mir nicht verweigern. Darfst nicht!« Geifer troff aus seinem Mundwinkel. »Sie ist Mensch.«
    »Sie wird eine von uns.«
    »Nein. Sie nicht. Sie riecht anders. Du darfst sie mir nicht verweigern.« Er leckte sich über die geschwollenen Lippen und reckte den Hals nach Lisa.
    Sie wich zurück, bis sie mit dem Rücken gegen die Wand stieß.
    »Nicht sie!« Sandy wurde lauter, doch das Zittern verschwand nicht ganz aus ihrer Stimme.
    »Sie ist frei! Ich darf sie trinken. Er erlaubt, dass ich sie trinke.« Mit der Rechten langte er an Sandys Schulter und schob sie zur Seite. Als er Lisa anstarrte, schimmerte unstillbarer Hunger in seinen Augen.
    Sie konnte nichts tun als zurückstarren. Das Kaninchen vor der Schlange, erstarrt und aller Hoffnung und jedes Kampfgeists beraubt, ein hypnotisiertes, wehrloses Opfer.
    »Nein!« Sandy stieß den Hünen zur Seite und baute sich wieder zwischen ihm und Lisa auf.
    »Durst!«, grollte er und blitzte sie an.
    »Nein!«
    Zweimal schnaufte er tief durch, dann sagte er: »Halbe-halbe.«
    Die Erstarrung fiel von Lisa ab. Sie ging in die Knie, tastete auf dem Boden herum, doch sie konnte nichts finden, das sie als Waffe hätte verwenden können. Keinen Stein, nichts. Warum sollten auch irgendwo einfach Waffen herumliegen?
    »Nein!« Sandys Stimme klang schneidend. Sie wirkte so winzig im Vergleich zu Jo, doch zugleich entschlossen. »Ich sagte Nein!«
    »Durst!«, grollte Jo.
    Lisa tastete über die Wand, ob sich irgendwo ein Ziegel lösen ließ. Nichts. Der Mörtel war steinhart, und sie riss sich einen Fingernagel ein. Auf keinen Fall wollte sie in Jos Hände fallen, von ihm ausgetrunken werden und weggeworfen wie eine leere Verpackung. Sie wollte kein Vampir werden, doch genauso wenig das Opfer eines Blutsaugers. So wollte sie nicht sterben, so nicht. Sie wollte überhaupt nicht sterben, aber ganz sicher nicht so.
    »Nein!«, keifte Sandy ein weiteres Mal.
    Dann ging alles schneller, als Lisa wahrnehmen konnte. Fauchend fielen die beiden Vampire übereinander her, Lisa wusste nicht, wer den Kampf begonnen hatte. Sie wälzten sich ineinander verkeilt über den Boden, stießen sich gegen die Wände und droschen aufeinander ein. Ihre Kleidung wurde zerfetzt, Haut aufgerissen, Verputz staubte von der Mauer, wenn einer von ihnen mit Wucht dagegenprallte. Sandy war um so vieles kleiner, und doch schien sie nicht chancenlos. Nicht völlig. Sie schlug schneller zu als er, trat und kratzte, riss an seinem Ohr und hämmerte die Faust nach seiner Nase, als wolle sie ihm den Knorpel bis ins Hirn hochdreschen. Doch Jo konnte gerade noch ausweichen und schlug ihr den Ellbogen aufs Ohr.
    Wie wahnsinnig droschen sie aufeinander ein, aber keiner von beiden biss zu. Als wollte keiner das Blut eines anderen Vampirs vom selben Vater trinken. Das Blut von Schwester und Bruder.
    Dann tauchte Sandy zu langsam unter einem Schlag hinweg, und Jo stieß sie um, warf sich auf sie, packte ihren Kopf und drückte ihn auf den Boden. Sandy schlug um sich, krallte ihre Finger in seinen Arm, so

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