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Gebissen

Gebissen

Titel: Gebissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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murmelte heiser vor sich hin: »Ich habe einen von uns angegriffen. Ich habe einen von uns getötet. Für einen Menschen.«
    »Aber ich soll doch eine von euch werden.«
    Sandy lächelte sie mühsam an. Das Blut trocknete in ihrem Gesicht, nur die Oberlippe platzte erneut auf. »Noch bist du es nicht. Ich habe mich gegen die meinen gestellt. Gegen meinen Bruder. Das ist mein Ende. Unser Ende.«
    »Es ist niemand hier. Niemand weiß, wie Jo gestorben ist.«
    »Doch«, sagte Sandy müde. Sie kniete noch immer auf dem Boden, schien keine Kraft mehr zu haben, sich zu erheben. »Er. Er weiß es. Er weiß alles, was seine Kinder tun. Und er ist ein strenger Vater.« Sie wippte vor und zurück. »Ich habe einen Bruder getötet. Ich habe ihn getötet.«

34
    Alex hatte sich seit fünf Minuten nicht von der Stelle gerührt. Er beobachtete seinen Arm, wie die Wunde verkrustete, und konnte spüren, wie sich darunter neue Haut bildete, wie Muskelfasern wieder zusammenwuchsen. Pochend klang der Schmerz ab, Alex spürte, wie das Leben in seinen Arm zurückkehrte. Es ging so schnell, viel schneller als zu Zeiten, als er noch Mensch gewesen war. Gebissen, jedoch Mensch. Nirgendwo war eine Gasleitung explodiert. Aus dem schwarzen Loch in der Erde, wo der Blutvater gehaust hatte, drang kein Rauch mehr, nur noch der Gestank nach Moder und Kompost.
    »Wir müssen los«, sagte Danielle zum hundertsten Mal. »Sie werden uns suchen.«
    »Ich weiß«, sagte Alex zum ebenfalls hundertsten Mal und rührte sich nicht. Er saß einfach da und betrachtete sie. Sie war verdreckt, Frisur und Kleidung zerstört, angeschlagen, ein Hauch Furcht lag in ihrem Drängen, Erschöpfung, und doch strahlte sie mehr Erotik aus als jeder herausgeputzte Hollywoodstar auf dem roten Teppich, mehr als jede Tänzerin, die er je an einer Stange gesehen hatte. Ihre Schönheit war unmenschlich, sie hatte ihn überhaupt hierhergebracht. Hätte er sie im Gilgamesch nicht angesprochen, wäre er jetzt nicht in diesem Tunnel. Dann wäre er jetzt zu Hause und würde friedlich schlafen.
    Oder alpträumen, dachte er. Es hatte keinen Sinn, ihrer Schönheit die Schuld an seiner Lage zu geben. Sie hatte ihn nicht aus einer heilen Welt gerissen. Anstatt friedlich zu schlafen, stünde er viel eher wieder einmal auf einer Brücke, um sich in den Tod zu stürzen, ohne zu wissen, warum, oder woher dieser Drang zum Selbstmord kam. Ein Drang, den sie ihm erklärt und den er seit Tagen nicht mehr gespürt hatte. Seit er die Schwärze in sich mit seinem Speichel ausgespuckt hatte, wieder und wieder. Zwar hatte sie gesagt, man könne nicht alles erklären, was das Vampirische anbelangt, aber das eine glaubte er nun verstanden zu haben: die Schwärze in ihm, Asche wie die Kreatur aus der Scheune, der verbrannte Blutvater von irgendwo.
    »Dann komm jetzt!« Sie hielt ihm die Hand entgegen, um ihm aufzuhelfen. Lange schlanke Finger, in denen so viel Kraft steckte, dreckig und aufgeschürft, doch keiner der vorn weiß lackierten Fingernägel war abgerissen. Stabil wie die Krallen einer Raubkatze.
    Zögernd griff er zu und ließ sich auf die Beine ziehen.
    »Küss mich«, flüsterte er mit trockenem Mund, als er vor ihr stand, so nah an ihren vollen Lippen, so nah, dass er ihren Duft nach Gewitter und schwülen Sommernächten über den ganzen Gestank hinweg einatmete. Es war ihr Duft, kein Parfüm, wie er anfangs gedacht hatte.
    »Mach keinen Unsinn, wir müssen los«, sagte sie mit rauer Stimme, aber sie blieb vor ihm stehen, die Lippen leicht geöffnet.
    »Ich weiß«, sagte er und küsste sie. Er konnte nicht anders, dieses Verlangen war gegen jede Vernunft und so rücksichtslos wie seine jahrelange Sehnsucht nach dem Tod. Ihre Zungen berührten sich, und Alex’ Hände wanderten über Danielles Rücken hinab, packten ihren Hintern und pressten sie an sich. Nichts anderes war mehr wichtig. Sollte die ganze Welt in den Abgrund stürzen, er musste jetzt mit Danielle schlafen. Wenn schon Apokalypse, dann wollte er sie mit einem Orgasmus erleben.
    Er krallte sich in ihren Rock und zerrte ihn hoch.
    »Nicht hier«, stöhnte Danielle und grub die Hände in sein Haar, schmiegte sich an ihn.
    »Wo dann?«
    »Wenn alles vorbei ist.«
    »Das ist kein Ort.«
    »Nicht jetzt.« Sie legte ihm die Hand auf die Brust, stieß ihn aber nicht von sich, sondern fuhr ihm mit den Nägeln über die nackte Haut, kniff ihm spielerisch in die Brustwarzen.
    »Aber später ist vielleicht zu spät«, flüsterte Alex,

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