Gebissen
und lauft!«
Die ersten Vampire stürmten bereits auf den Ausgang zu, hechelnd und keifend, da wandte sich der Alte an Sandy: »Du bleibst hier, bei ihr. Warte noch ein wenig mit dem Ritual, nur ein paar Minuten. Wenn du sie jetzt reinbringst, dann trinkt er sie völlig leer. Du hast seine Schmerzen gespürt.«
Sandy nickte.
»Aber warte nicht zu lang. Frisches Blut ist genau das, was er jetzt braucht. Und es ist besser für sie, wenn sie eine von uns wird, bevor wir die Nephilim haben.«
Wieder nickte Sandy, dann eilte der Alte den anderen hinterher, viel zu schnell und geschmeidig für jemanden in seinem Alter. Nur Lisa, Sandy und der irrsinnige Jo blieben zurück. Sein wütendes, gieriges Knurren erfüllte die ganze Halle. Ansonsten herrschte Stille, die Wände hatten aufgehört zu beben.
Lisa sank an der Wand langsam zu Boden. Die Hinrichtung war aufgeschoben, wenn auch nur um wenige Minuten. Zu ihren Füßen lag ein Familienfoto mit zwei Mädchen von etwa zehn, zwölf Jahren. Die Gesichter von Mutter und ältester Tochter waren mit einem Cutter zerkratzt worden, wie auch die Hände des lächelnden Vaters. Zwischen seine Beine war ein Loch geschmort. Die jüngste Tochter war unversehrt, doch sie lächelte nicht.
Lisa schloss kurz die Augen, sie spürte das unangenehme Kribbeln des Bodens unter ihrem Hintern, aber es war egal. Alles war egal, wenn sie nun ein Vampir wurde. Sie hörte, wie sich Sandy neben sie setzte. Jos Knurren versuchte sie zu ignorieren.
»Dann musst du wohl noch ein wenig warten«, sagte Sandy. Sie saßen ganz nah beieinander, wie zwei Freundinnen, die gemeinsam die Zeit totschlugen. Nur dass von ihrer Freundschaft nichts mehr übrig war und sie völlig gegenläufige Erwartungen an das Kommende hatten.
»Warum? Was ist passiert?«, fragte Lisa mechanisch. Jedes Gespräch, das Jo übertönte, war ein gutes Gespräch.
»Alex und diese Schlampe haben ihn angegriffen. Sie haben ihn in Brand gesteckt.«
»Ihn?« Lisa öffnete die Augen und blickte Sandy an. Mit einem kurzen Nicken deutete sie auf die schwarze Tür. »Ich denke, er ist dort drin?«
»Er ist groß. Der Blutvater ist nicht nur hier, er ist überall unter Berlin. Aber wenn sie ihn da draußen in Brand stecken, können sie ihn nicht töten. Diese hirnverbrannten Idioten! Verrecken sollen sie trotzdem. Elendig und langsam!« Mit hasserfüllten Augen starrte Sandy an die gegenüberliegende Wand und spuckte wüste Schimpfworte in die düstere, fast verlassene Halle. »Ich wär’ verdammt gern dabei, wenn sie sie ausbluten lassen. Aber wem sage ich das. Du wärst sicher auch gern dort.«
»Ich?« Lisa schüttelte den Kopf.
»Natürlich. Wir reden von Alex und dieser verdammten Schlampe.«
»Mag sein. Aber ich will doch nicht, dass sie sterben.«
»Warum nicht? Denk daran, was sie dir angetan haben.«
»Sie haben gevögelt, nur gevögelt!« Lisa schniefte, aber sie konnte nicht verhindern, dass ihr eine Träne über die Wange rann. Das hier war alles zu bizarr, zu schrecklich. »Er hat mich verarscht, ja, meinetwegen auch mein Herz gebrochen, aber darauf steht doch nicht die Todesstrafe. Hallo? Wir waren nicht einmal richtig zusammen, er hatte mir keine Zukunft versprochen, wir hatten noch gar keine Zeit, uns Treue zu schwören und all das. Er ...«
»Er hat dich beschissen!«, fiel ihr Sandy ins Wort. »Er hat dich flachgelegt und benutzt. Jetzt verteidige ihn nicht auch noch! Erzähl mir nicht, dass du benutzt werden wolltest!«
»Nein! Natürlich nicht. Aber ich wollte flachgelegt werden!« Lisa atmete tief durch. Hatte sie das wirklich gewollt? Ja, natürlich, aber auch noch viel mehr. »Jetzt hör mir mal zu. Ich wollte ganz sicher nicht, dass er mit einer anderen vor meinen Augen in die Kiste springt. Ich hatte mich verliebt, ich wollte mit ihm ins Bett und am nächsten Morgen gemeinsam aufwachen. Ich wollte mit ihm frühstücken und mit ihm zusammen sein, bis wir uns auf den Geist gehen würden, vielleicht auch für immer, aber so weit habe ich nicht gedacht, ich habe nur gedacht: Ja, das ist es. Ich wollte ihn kennenlernen, ihm zeigen, wer ich bin und was ich am Leben liebe, was mich glücklich macht. Ich wollte herausfinden, was ihn glücklich macht, ich wollte mit ihm ans Meer oder auch einfach in den nächstbesten Zug steigen und schauen, wo wir ankommen. Einmal wirklich einsteigen, und das nicht allein. An dem Abend war ich mir sicher, ich könnte mit ihm glücklich werden. Ich wollte nichts mehr, als das
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