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Gebissen

Gebissen

Titel: Gebissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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der Sex von wirklichen Menschen, sondern wie irgendeine tricktechnisch veränderte Filmszene. Die Bühnenshow eines perversen Akrobatenpaars. Nicht menschlich. Zuzusehen war schrecklich gewesen, erregend und unheimlich zugleich.
    Warum hatte sie nicht einfach gehen können? Sie hatte nur dagesessen und zugesehen, heulend und hilflos. Wieder das kleine Mädchen, das zitternd an der eigenen Zimmertür steht, sich nicht hinaustraut, mit stummen Tränen Zeuge eines weiteren Streits ihrer Eltern, ausgeliefert der Hoffnung, alles möge gut werden, nachher, morgen oder irgendwann danach, obwohl sie wusste, dass nichts gut werden würde. Das hilflose Starren und Warten auf das Ende, nichts tun können, weil man nicht die Kraft zum Handeln aufbringt. Weil man für die beiden Streitenden keine Bedeutung hat. Damals war irgendwann ihre Mutter gegangen und hatte sie mitgenommen; jetzt war sie allein gegangen. Doch sie hatte sich erst rühren können, als Alex sie angesprochen hatte.
    Warum hatte er sie gebeten zu bleiben? Was ging in seinem kranken Kopf nur vor? Hatte er gedacht, dass ihr die Nummer gefallen hatte? Dass sie eine fröhliche Dreierbeziehung führen würden?
    »Arschloch.«
    Lisa stand auf und ging zu Sandys Zimmer, öffnete leise die Tür und sah noch mal nach, ob sie wirklich nicht da war. War sie natürlich nicht. Noch immer lag der kurze schwarze Rock auf dem Bett, die Netzstrumpfhose und drei unterschiedliche Tops. Spuren eines überhasteten Aufbruchs zu einem Date, vielleicht war sie auch mit irgendwem zusammen auf Männerfang gegangen. Möglicherweise sogar erfolgreich, da sie immer noch nicht zurück war.
    Lisa wollte reden, aber sie wusste nicht, mit wem. Nicht am Telefon. Und über das, was in ihr rumorte, konnte sie sowieso nicht sprechen.
    Beiläufig bemerkte sie, dass sie die Rotweinflasche in der Hand hielt, und nahm noch einen tiefen Schluck. Er war trocken, ein Tropfen lief ihr aus dem Mundwinkel und tropfte auf ihre Brust. In ihrem Kopf drehte sich alles.
    Sie wankte in die Küche, stellte den Wein auf die Küchenzeile und dachte daran, doch ins Bett zu gehen, Rotwein machte müde. Konnte man schlafen, ohne zu träumen, wenn man es sich ganz fest vornahm?
    Wahrscheinlich nicht, also musste sie wach bleiben.
    Es war schon längst Morgen, Sandy musste bald heimkommen, irgendwann musste sie einfach. Selbst wenn sie bei einem Mann übernachtet hatte. Jeder kam irgendwann nach Hause.
    Lisa machte Kaffee, nahm doppelt so viel Pulver wie sonst und ließ drüben im Wohnzimmer den Fernseher laufen. Sie war in eine WG gezogen, um nicht allein zu sein, sie hielt Stille in der Wohnung nur schwer aus, und heute schon gar nicht. In dieser Hinsicht waren sie und Sandy gleich, das hatten sie schon am ersten Abend ihrer Freundschaft festgestellt.
    Während das Wasser durch die Maschine tropfte, bedauerte sie, kein Foto von Alex zu haben, das sie neben Sandys Teddy an die Flurwand nageln konnte.
    Bei der dritten Tasse Kaffee kam Sandy tatsächlich. Sie war barfuß, ihre Füße voller Erde und Schmutz, und ein wenig bleich im Gesicht, als hätte sie die Nacht durchgemacht. Sie wirkte kalt, aber auch stark, viel stärker als in den letzten Tagen. Doch vielleicht kam es Lisa auch nur so vor, weil sie sich selbst so klein fühlte.
    »Hi«, begrüßte Lisa sie. »Magst du Kaffee?«
    »Wie siehst du denn aus?«
    »Ich ...« Weiter kam Lisa nicht, sie heulte los und ärgerte sich darüber.
    Sandy nahm sie in den Arm und strich ihr unbeholfen übers Haar. »Was ist denn passiert? Hat er dir was getan?«
    Lisa nickte und löste sich aus der Umarmung. Die körperliche Nähe behagte ihr nicht, Sandy roch irgendwie nach modrigem Keller oder muffigem Parfüm. Ihre Hände lagen kalt auf Lisas Schulter und Kopf. Vielleicht kam ihr das nach allem auch nur so vor, vielleicht reagierte sie jetzt einfach empfindlich auf körperliche Nähe.
    Sie setzte sich und erzählte Sandy ausführlich von dem Abend. Davon, dass sie sich auf der Brücke so gut verstanden hatten, dass sie mit zu ihm gegangen war und dass es schön gewesen war, wirklich wunderschön, bis es geklingelt hatte und sie gekommen war.
    »War das seine Freundin?«
    »Ich weiß nicht.« Lisa erzählte, dass die beiden es wie Tiere getrieben hatten, wie wilde, tollwütige Tiere, aber sie wusste nicht, wie sie von der zerstörten Wohnung erzählen sollte. Dass die beiden in ihrer Raserei Möbel zerlegt hatten. Je weiter es zurücklag, desto verrückter kam es ihr vor. Aber

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