Gebissen
machte er sich bewusst, dass - wenn er Danielle wirklich glaubte - unter seinen Füßen eine riesige unmenschliche Kreatur dämmerte, gewachsen aus Blut und Tränen der Jahrhunderte, dürstend nach mehr.
»Was machen wir jetzt?«, fragte er Danielle, als sie auf die Straße traten. Noch immer tobten in ihm wirre Gefühle und Gedanken durcheinander, doch sie wurden von Angst unterdrückt. Alex hatte Angst vor der Kreatur in der Erde. Ihr Erwachen würde er nicht feiern, da konnte er tausendmal ein Vampir sein.
Danielle sah ihn an, sah vielleicht sogar in ihn hinein und lächelte. »Jetzt kann ich dich mit in meine Wohnung nehmen. Da kriege ich was Ordentliches zum Anziehen, und dann überlegen wir, wie wir verhindern können, dass der Blutvater Berlins an die Oberfläche kommt. Von Sodom habe ich dir erzählt, und auch die Blutmutter Roms konnte zu Neros Zeiten im letzten Moment gestoppt werden. Immer wieder gab es über die Jahrtausende derartige Versuche des Erwachens. Uns wird schon was einfallen.«
»Und wenn nicht?«
»Daran denken wir am besten nicht. Uns muss und uns wird.«
17
Das Ergebnis der Frage der Woche der Gesellschaft für ein moralisches Berlin e. V. lautete:
Sollte Satanismus unter höhere Strafe gestellt und gegen ihn mit Mitteln der Terrorbekämpfung vorgegangen werden?
Ja: 78%
Nein, die gesetzlichen Regelungen sind angemessen: 21%
Im Gegenteil, die Strafen sollten gesenkt werden: 1 %
18
Lisa saß seit Stunden vor dem Fernseher und sah nicht mehr als flimmernde Farben, schnappte das eine oder andere Wort auf und vergaß es sofort wieder. Der Fernseher war nur ein Alibi, eigentlich starrte sie ins Nichts. Oder in ein buntes elektronisches Lagerfeuer. Sie vergaß sogar, bei Werbung wegzuzappen, nur wenn sie Liebesgeturtel und Sexszenen aus dem Flimmern filterte, drückte sie auf die Fernbedienung; so was ertrug sie jetzt nicht. Aber meist nahm sie nur wechselnde Farben und einen Brei aus Gemurmel, Geplapper, dramatischer Musik und unterschiedlichen Hintergrundgeräuschen wahr, bisweilen auch Schreie - und Schreie verstand sie, sie hätte auch gern geschrien. Aber sie trank nur.
Sandy war nicht da, mit der sie hätte reden können.
Warum hatte Alex das getan?
Dabei hatte er doch gar nicht gewirkt wie ein beschissener Chauvi.
Ein unangenehmes Gefühl nagte an ihr. Die Fremde war viel schöner gewesen als sie, wahrscheinlich würde sich jeder Mann für sie entscheiden, wenn er die Wahl zwischen ihnen beiden hätte, sie hatte ausgesehen wie ein Model. Nein, sogar noch besser; sie hatte etwas ausgestrahlt, das Lisa noch nie gesehen hatte. Aber wenn das Alex’ Freundin war, warum hatte er dann was mit Lisa angefangen?
Die arrogante Tusse hatte Lisa nicht einmal angesehen, sie hatte keine Szene gemacht, hatte sich einfach nur ihren Mann zurückgeholt. Wie eine Hündin, die ihr Revier markierte.
Lisa fühlte sich gedemütigt, verraten, klein, hässlich und benutzt.
»Arschloch«, sagte sie ganz leise, denn zum Schreien fehlte ihr die Kraft.
Sie trank die Reste aus der Rotweinflasche, die Sandy halbvoll auf dem Küchentisch gelassen hatte. Seit einigen Minuten lief bereits das Morgenprogramm, doch sie konnte einfach nicht schlafen. Zweimal war sie kurz weggedämmert, aber immer wieder hochgeschreckt, weil sie von Alex und dem verfluchten Model geträumt hatte. Das wollte sie nicht, auf keinen Fall, und wenn sie eine Woche lang Koffeintabletten fressen müsste.
Und wo zur Hölle steckte Sandy? Jetzt, wo sie sie brauchte?
Schimpfend öffnete sie noch einen Wein, trank, knabberte an ihren Fingernägeln und starrte ins televisionäre Nichts. Hinter all ihren Fragen, unter der Demütigung und dem Gefühl, verletzt worden zu sein, lauerte Angst. Nicht die Angst, entgegen aller Hoffnung doch weiter allein zu sein, nicht die Angst, in nächster Zeit keinem Mann mehr vertrauen zu können, nein, es ging darum, wie Alex und diese Frau es getrieben hatten. Das hatte ihr Angst gemacht, anders konnte man es nicht nennen.
Die beiden waren so übereinander hergefallen, dass es mehr wie ein Kampf ausgesehen hatte. So wie sie sich gegen Wände und Möbel gestoßen hatten, wie sie sich ineinandergekrallt hatten, hätten sie brüllen müssen vor Schmerz, und doch hatten sie nur vor Lust gestöhnt. Lisa hatte Blutflecken auf beider Haut gesehen, auch dunkelrote Risse, aber es hatte sie nicht gekümmert. Immer wieder hatte Alex nach dem Hals der Frau geschnappt. Es hatte nicht echt ausgesehen, nicht wie
Weitere Kostenlose Bücher