Gebissen
eine Mutter ans Licht zu holen. Seitdem gehen wir ihnen aus dem Weg, und sie gehen auf die Jagd nach uns, wenn es einen Blutvater oder eine Mutter nach unserem Blut verlangt. Wenn er sich erheben will.«
»Dann sind Menschen und Nephilim also auf derselben Seite?«, fragte Alex, nachdem er einen Augenblick gewartet hatte, ob Danielle nicht doch noch weitersprach. Sie hatte ihm eine lange Geschichte erzählt, seine Fragen damit aber nicht annähernd beantwortet. Im Gegenteil, immer neue Fragen stürmten durch seinen Kopf: nach der Herkunft der Nephilim, nach ihren Müttern und Vätern, warum in der Bibel bei Sodom von Engeln die Rede war. Selbst die Frage nach Gott kam ihm in den Sinn, oder auch nach den Göttern. Zu viele, um sie alle auf einmal zu stellen.
»Nein, das kann man so nicht sagen. Die meisten Menschen wissen ja nichts von alldem. Und der Großteil der wenigen Vampirjäger will auch uns zur Strecke bringen, denn wir sind gefährlich, oder zumindest unser Blut. Erst wenn wir ausgerottet sind, kann eine solche Erweckung nicht funktionieren. Sie haben so viel Angst vor einem über der Erde wandelndem Blutvater, dass es ihnen egal ist, wie sie das verhindern.«
»Das ist doch Wahnsinn.« Alex schwirrte der Kopf vor Fragen. Er erhob sich und lief auf dem Dach hin und her. Das alles war Wahnsinn. Er wusste nicht, wo er weiterfragen sollte. All das zertrümmerte die Welt, in der er bis jetzt zu leben geglaubt hatte, aber es erklärte nichts. Nicht, warum er sich in den letzten Tagen so verändert hatte, nicht, warum sie zu ihm zurückgekehrt war. Was hatte sie wieder zu ihm getrieben?
Er betrachtete sie, wie sie gegen den gemauerten Schornstein gelehnt in den Himmel starrte, der sich langsam rot färbte. Die Sterne verblassten. Er musterte ihr Profil, alle Fragen waren vergessen, nur eine blieb: Weshalb begehrte er sie so sehr?
Langsam ging er zu ihr hinüber. Es war mehr als ihre Schönheit, es war etwas, das ihn überrannte, unter sich begrub wie eine gigantische Welle und alles andere fortspülte. Jede Frage, jeden klaren Gedanken.
Sie sah ihm in die Augen. Auch in ihnen brannte nun Verlangen, es verdrängte die Erinnerungen und auch die Verwirrung, die Alex kurz in ihnen gesehen hatte.
Er schob ihr T-Shirt nach oben, sie riss seinen Gürtel aus der Hose. Während die Sonne langsam aufging, trieben sie es im Stehen am Schornstein, bis sich ein Ziegelstein aus der obersten Reihe löste, gegen den Danielle beim Höhepunkt zu fest geschlagen hatte. Er polterte in dem Moment den Schacht hinab, in dem auch Alex kam.
»Da haben wir wohl ein paar aus ihren Träumen gerissen«, stieß er keuchend hervor und grinste.
»Aus wunderschönen Träumen.«
»Wie meinst du das?«
»Nicht nur Blutväter bringen Träume. Die eines Nephilim sind weniger dunkel und blutig, doch ebenso intensiv und inspirierend.«
Aus dem gekippten Fenster im obersten Stock drang das Stöhnen zweier Menschen. Danielle strich Alex über die Wange, zog ihr T-Shirt wieder über den Hintern und wartete, bis er sich die Hose hochgezogen hatte. Dann führte sie ihn durch die Dachluke wieder ins Haus. »Wenn es hell wird, verlasse ich die Dächer. Da oben ist es am Tag zu auffällig.«
»Du verbringst die Nächte auf den Dächern? Wann schläfst du eigentlich?«
»Gar nicht.«
Sie rannten die Treppe hinab, Danielle läutete im Vorbeieilen an einer Tür, hinter der lautes Stöhnen zu hören war, und freute sich wie ein kleiner Lausejunge. Warum gab es eigentlich keine Lausemädchen in der deutschen Sprache?
Alex hatte aufgehört, an Danielles Worten zu zweifeln. Auch wenn sie permanent darauf beharrte, mit ihm verfeindet zu sein, glaubte er ihr, folgte ihr. Im Moment konnte er diese angebliche Feindschaft nicht spüren, diese instinktive Abneigung. Er glaubte ihr, dass sie in Sodom gewesen war, dass sie ein Nephilim war und er beinahe ein Vampir geworden wäre. Entweder hatte er nach über dreißig Jahren endlich eine Wahrheit gefunden, die nicht viele kannten, oder er war auf dem besten Weg, ein kompletter Spinner zu werden.
Ein Spinner.
Plötzlich musste er an den Mann mit den Haiaugen denken - den Vampir? - und verstand Danielles überstürzte Flucht aus Alex’ Wohnung. Mit aller Wucht überfiel ihn die Erkenntnis, was dieser Mann eigentlich gewollt hatte. Er suchte - gemeinsam mit anderen - einen Nephilim, und das taten Vampire laut Danielle immer dann, wenn ein Blutvater erwachen wollte.
Ihm wurde flau im Magen. Zum ersten Mal
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