Gebissen
Besser, realer.«
»Jetzt spann mich nicht auf die Folter. Erzähl schon.«
»Tut mir leid, ich darf echt nicht darüber reden. Aber ich werde fragen, ob ich dich mitbringen darf. Ich werde ihm von dir erzählen, nein: Ich werde dich empfehlen. Bei ihnen wirst du dich nicht mehr hilflos und klein fühlen, und sicher nicht mehr allein. Es ist eine Gemeinschaft, wo jeder für den anderen da ist, das habe ich vom ersten Augenblick an gespürt. Wir sind alle eins.«
»Hast du Freimaurer getroffen oder Illuminaten, oder warum darfst du nicht darüber reden?« Wieder kicherte Lisa, aber ihr ging diese Geheimniskrämerei auf den Geist. Irgendwie klang das alles nach Sekte, aber so was passte gar nicht zu Sandy.
»Keine Freimaurer. Aber du wirst es sehen. Ich nehm dich morgen oder übermorgen mit.«
Sandys Stimme klang so bestimmt, dass Lisa nicht widersprach, auch wenn sie im Moment nicht die geringste Lust verspürte, jemanden kennenzulernen. Sie könnte ja jederzeit wieder gehen. Schnell würde sie sehen, was das für Leute waren, bei einer Sekte oder sonstigen Spinnern würde sie einfach abhauen, nahm sie sich vor. Nach fünf Minuten, egal, was Sandy sagte.
»Hast du vorhin nicht erzählt, dass du dir aus Versehen eines von seinen T-Shirts gekrallt hast?«, hakte Sandy nach. »Dann hol es mal her.«
Lisa nickte. Es auszuziehen und in die Badezimmerecke zu pfeffern, war das Erste gewesen, was sie getan hatte.
»Wunderbar.« Sandy hob Alex’ Shirt an die Nase und roch daran. »Voller Schweiß, das ist ausgezeichnet. Das ist ...«, sie zögerte, sog noch einmal den Geruch des Shirts ein, langsam, prüfend. »Das kann doch nicht... so erdig, fast, als wäre ...« Misstrauisch musterte sie Lisa, packte ihr Kinn und drehte den Kopf nach rechts und links und betrachtete dabei sorgfältig den Hals. Ihr Griff war fest, sie war stärker, als Lisa gedacht hätte, viel stärker. Dann schüttelte Sandy den Kopf. »Nein.«
»Ähm, was soll das?«
»Nichts. Wir machen einfach ein bisschen Voodoo.«
»Voodoo?«
»Ja. Es ist völlig egal, ob es funktioniert, es tut einfach gut.«
»Sagen das deine neuen Freunde?«
»Nein.« Jetzt lächelte Sandy. »Martins Teddy habe ich doch schon vorher gekreuzigt, oder?«
Unter Sandys Anweisung und mithilfe von dicken schwarzen Fäden schnürten sie das ebenfalls schwarze T-Shirt zu einer Puppe mit annähernd menschlichen Formen zusammen. Den Faden, der den Kopf vom Körper trennte, wickelte Lisa besonders eng.
»Jetzt mal ihm ein Gesicht.«
»Mit Edding oder Kuli oder wie?«
»Natürlich mit Blut.«
»Blut? Spinnst du?«
»Kein Voodoo ohne Blut. Nur einen Tropfen aus deinem Finger für jedes Auge. Ein Stich mit der Stecknadel tut doch nicht weh.«
Lisa war sich da nicht sicher, aber es war auch egal. Der Idiot hatte ihr viel mehr Schmerzen zugefügt, Hauptsache, es half. Sie nahm die Nadel aus Sandys Hand und piekste sich in den rechten Zeigefinger, presste die Lippen aufeinander und drückte der Alexpuppe zwei Augen und eine Nase ins Gesicht. Dann presste sie ein wenig frisches Blut aus der Wunde und schmierte einen geraden Strich als Mund darunter, kein Lächeln.
Sandy beugte sich über die Puppe, die auf dem Küchentisch zwischen den Kaffeetassen lag und zischte: »Schmerzen und böse Träume. Du sollst jede Nacht schwitzen und heulen, zittern und verfluchen, dass du Lisa verletzt hast. Hundertfach soll ihr Schmerz auf dich zurückfallen, nicht eine Nacht Ruhe soll dir mehr vergönnt sein bis ans Ende deiner Tage.«
Lisa wollte kichern, aber sie konnte nicht. Sandys Stimme war rau und furchtbar eindringlich, sie kroch in Lisas Innerstes und jagte ihr eine Gänsehaut über die Arme. Auf seltsame Art erinnerte sie Sandys gezischte Beschwörung an den Sex, den Alex mit der Fremden gehabt hatte. So echt, obwohl es nicht echt sein konnte. Mit einem Schlag schien es kälter geworden zu sein.
»Jetzt bist du dran.«
Lisa konnte nichts sagen, sie hatte einen Kloß im Hals. Sie starrte auf den schwarzen Stoffzipfel mit den kaum zu erkennenden Blutflecken, die Alex’ Gesicht sein sollten. Einen Moment lang hatte sie wirklich sein Gesicht vor sich, lächelnd, so wie er sie auf der Brücke angesehen hatte. Kurz bevor er sie verarscht hatte, das Schwein.
»Schlechte Träume und ein zerrissenes Herz«, flüsterte sie. »Ich hoffe, die Schlampe fickt eine ganze Fußballmannschaft vor deinen Augen, mit allen Ersatzspielern, Betreuern und Masseuren, und lässt dich als wimmerndes
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