Gebissen
sie hatte es doch gesehen, so etwas bildete man sich doch nicht ein! Selbst wenn man hintergangen wird, wenn man nackt ist, nicht nur körperlich.
»Die beiden haben ihre kranke Vögelei wie ein Theaterstück für dich inszeniert?«, brauste Sandy auf. In ihren Augen glomm kalte Wut.
»Ich weiß nicht, ob man es so sagen kann«, wich Lisa aus, obwohl sie diesen absurden Gedanken selbst schon gehabt hatte, verworfen und wieder hervorgekramt. Sie wusste einfach nicht, was sie denken sollte.
»Hallo? Willst du den Idioten jetzt wirklich verteidigen, oder was?«
»Nein.« Nein, das wollte sie nicht. Sie wollte nur manche Gedanken nicht zulassen, wollte nicht ausführlich schildern, wie es die beiden getan hatten. Sie war verdammt froh, dass Alex nicht mit dieser Wucht und Raserei über sie hergefallen war, und zugleich war sie deswegen verletzt. Sie hatte ihn nicht annähernd so erregt wie diese ... perverse Schlampe. Sie wollte sich nicht mehr minderwertig fühlen, also lenkte sie vom Thema ab: »Ich habe vorhin schon geschaut, ob ich ein Foto von ihm auf dem Handy hab, das ich ausdrucken und neben deinen Teddy nageln könnte.«
»Ein Foto? Man müsste den ganzen Idioten da kreuzigen. Am besten kopfüber und mit glühenden stumpfen Nägeln, möglichst schmerzhaft eben. Die Lanze stoßen wir ihm dann zwischen die Beine statt in die Seite.«
»Das wäre natürlich am besten.« Lisa grinste vorsichtig und merkte, wie sich etwas in ihr löste. Mit Sandy über alles zu scherzen, befreite den Kopf.
Sandy lachte nicht. »Ich ruf ihn nachher an und mach ihn fertig.«
»Aber lass mich auch einen Nagel einschlagen«, kicherte Lisa. Sie hatte zu viel getrunken und war nun plötzlich überdreht. Nach der stundenlangen Grübelei kippte jetzt alles.
»Welchen willst du? Den krönenden letzten? Oder doch lieber die Lanze?« Sandy sah sie an und lächelte noch immer nicht. Sie spielte ihre Rolle als ernste Rächerin verdammt gut.
Vorsichtig musterte Lisa sie und stellte fest, dass sich Sandy seit gestern verändert hatte. Augen, Körpersprache, Ausstrahlung, alles war selbstbewusster, aber auch unnahbarer. Vielleicht war das aber auch nur die Wut auf Alex, die sie ganz offensichtlich empfand. Erst jetzt fiel Lisa auf, dass Sandy ein schwarzes Männerhemd trug, das sie noch nie zuvor gesehen hatte.
»Wo warst du eigentlich?«, fragte sie.
»Ich hab jemanden kennengelernt.«
»Aha!«
»Nein, nicht, was du denkst. Nicht einen, sondern mehrere, die ...«
»Oha«, kicherte Lisa, die einfach nicht runterschalten konnte. Sie fand sich selbst nicht lustig, aber sie musste einfach plappern, lachen, alles ins Alberne drehen. Denn die Bilder von Alex und der Fremden wollten ihr trotz allem nicht aus dem Kopf, im Gegenteil, immer wieder tauchten sie auf, und dann fühlte sich Lisa wieder klein und unbedeutend, verletzt, gedemütigt und verängstigt. Sie hatten sich die Kleidung wortwörtlich zerrissen, geblutet, ein Regal im Liebestaumel von der Wand gefegt und eine Glasscheibe zertrümmert und nicht ein einziges Mal ihr Treiben unterbrochen. Weitergevögelt trotz Splitter im Rücken. Das war Besessenheit gewesen, nicht Leidenschaft, zwei kranke Sexjunkies, blind und gefühllos für alles andere.
»Nein, kein oha nötig.« Zum ersten Mal umspielte ein kurzes Lächeln Sandys Lippen. »Ich habe Leute getroffen, die mir Kraft geben. Als Martin mich beschissen hat, habe ich mich so nutzlos gefühlt und hätte manchmal die ganze Welt verfluchen können, aber jetzt, jetzt habe ich wieder ein Ziel. Es gibt jemanden, der auf mich baut. Ich bin nicht mehr allein.«
»Hey! Du hattest immer mich, du warst nie allein.«
»Ich weiß, du warst immer da, aber das ist etwas anderes, ein anderes Alleinsein. Du bist eine Freundin, eine großartige Freundin, aber jetzt habe ich wieder einen Sinn im Leben gefunden, so hochtrabend das klingen mag.«
»Haben dich irgendwelche Hardcore-Christen bekehrt, oder was? Glaubst du jetzt, dass Jesus auf dich baut, dass er dein Lebenssinn ist? Oder an Scientology oder so?«, fragte Lisa, die getauft war und es seit Jahren vor sich herschob, endlich aus der Kirche auszutreten, einfach, weil sie keine Lust auf einen Amtsgang hatte. Nicht an Gott glauben konnte man schließlich auch trotz behördlich eingetragener Religionszugehörigkeit. Sandy kam aus Thüringen und war nie getauft gewesen, Lisa hätte sie nicht als anfällig für Religionen eingeschätzt.
»Nein, ich hab nicht zu Gott gefunden, keine Angst.
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