Geboren im KZ: Sieben Mütter, sieben Kinder und das Wunder von Kaufering I (German Edition)
Havre nach Kuba ein. Man schreibt das Jahr 1946.
Miriam mit ihrem Mann Béla und Sohn László in Barbizon, Frankreich 1946
Jede Woche verlassen Dunajská Streda Gruppen von jüdischen Überlebenden, die meistens nach Palästina auswandern wollen. Die Tschechoslowakei der ersten Nachkriegsjahre macht den jüdischen Auswanderern keine Probleme. In Bratislava organisiert sogar eine offizielle Behörde, PALAMT, die Ausreise nach Palästina. Die meisten entscheiden sich für den illegalen Weg. Sie wollen nicht länger auf die offizielle Genehmigung warten, die ohnehin kaum zu bekommen ist. Denn die Briten, unter deren Mandat Palästina steht, wollen eine weitere Einwanderung verhindern und bringen die Schiffe mit illegalen Flüchtlingen im Mittelmeer auf. Eva aber hat ganz andere Sorgen, als an eine riskante Reise mit Marika und an einen Neuanfang im fernen Palästina zu denken. Ihr fehlen die notwendigen persönlichen Dokumente. «Meine alte Heimat, die Karpatho-Ukraine, gehörte jetzt zur Sowjetunion. Die dortigen Beamten wiesen meine Anträge stets zurück. Rezsö musste also nach Prag fahren, um mir neue Papiere zu besorgen.» Und das ist nicht die einzige bürokratische Hürde, die Eva überwinden muss. Die tschechoslowakischen Behörden wollen ihr nicht glauben, dass ihre Tochter in einem Konzentrationslager zur Welt gekommen ist. Das Dokument, das ihr die amerikanischen Befreier in Dachau aushändigten, wird in Prag nicht anerkannt, weil es in englischer Sprache ausgestellt ist. «Zwei Jahre lang dauerte es, bis ich mit Rezsös Hilfe eine Geburtsurkunde für Marika bekam.» Für eine Auswanderung fehlt Eva aber ohnehin das Geld. In der Tschechoslowakei der Nachkriegszeit ist alles rationiert, Lebensmittel, Kleider und sogar Bettdecken. «Ich lebte sehr sparsam und kochte für das ganze Haus, um mich nützlich zu machen. Wenn ich Kleider bekam, verkaufte ich sie und legte das Geld in die gemeinsame Kasse.» Rezsö versucht anfangs, so gut es geht, Eva zu helfen. Mit fast väterlicher Hingabe nimmt er sich der kleinen Marika an. Bei schönem Wetter setzt er das Kind auf seine rechte Schulter und geht spazieren. Allen, denen er begegnet, sagt er stolz: «Seht ihr? Das ist Gézas Tochter. Ist sie nicht hübsch?» Er und seine Frau versuchen schon seit zweieinhalb Jahren, ein Kind zu bekommen. «Würdest du uns Marika geben? Wir wollen sie adoptieren», fragen sie Eva eines Tages. Es könne auch ihr helfen, wenn sie sich von ihrer Tochter trenne, denn als unverheiratete Mutter habe sie es besonders schwer, meint Rezsö. Innerlich ganz aufgewühlt, lehnt Eva entschieden ab. «Ich trug meine Tochter durch all die Lager in meinem Bauch, brachte sie dort zur Welt und dann nach Hause. Und jetzt sollte ich sie hergeben? Das kam für mich nicht infrage.» Marika ist das Einzige, das ihrem Leben nach Gézas Tod einen Sinn gibt.
Eva mit ihrer Tochter Marika in Dunajská Streda, Tschechoslowakei 1947
«Havanna war schön wie ein Traum.» Aber gleich bei der Ankunft fällt dem kontrollierenden Beamten auf, dass die Papiere der Familie Rosenthal, Miriam und Béla geben sich als Entertainer aus, gefälscht sind. «Sie wollten uns nach Devil Island bringen.» Zum Glück sind im Hafen auch Vertreter der Jewish Agency. Sie vermitteln. Ohne Arbeitserlaubnis und Unterkunft ziehen Miriam und Béla mit ihrem Kind durch die Straßen Havannas. Juden, an deren Türen sie klopfen, wollen oder können nicht helfen. In einer Suppenküche auf offener Straße rasten sie. «Die Suppe schmeckte salzig, weil meine Tränen in sie tropften.» Wieder aber haben sie Glück. Oder ist es Miriams Charme, ihr bezauberndes Lächeln, das den kubanischen Apotheker Hernandez, einen reichen Mann, rührt? Miriam kauft bei ihm ein Hustenmedikament für László und nimmt allen Mut zusammen. Sie fragt den Fremden nach einem Zimmer. Hernandez und seine Frau bringen die Rosenthals in ihrem Haus unter und lehnen jede Bezahlung ab. Miriams Schwester schickt jede Woche in einem Briefumschlag eine Eindollarnote. Von diesem Geld und etwas Schmuck, den Miriam verkauft, können sie leben. «Nicht Juden haben uns geholfen, sondern Katholiken. Es gibt in jeder Religion gute und schlechte Menschen.» Recelita, die Tochter der Gastgeber, ist ungefähr im Alter von László. Die beiden werden unzertrennlich und müssen doch nach einigen Monaten für immer Abschied voneinander nehmen. Endlich hat das kanadische Konsulat die Einreiseerlaubnis erteilt. Im Juni 1947
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