Geboren im KZ: Sieben Mütter, sieben Kinder und das Wunder von Kaufering I (German Edition)
die Schwangerschaft austragen und ein Kind gebären. Zu Hause war es dann umso schwieriger. Ich wollte aber, dass mein Mann ein leibliches Kind hat.» 1950 bringt Eva einen gesunden Sohn, Peter, zur Welt. An eine Auswanderung denken sie und Lázár jetzt nicht mehr. Es wäre ohnehin nicht mehr möglich. Die Beziehungen der Tschechoslowakei zu Israel verschlechtern sich unter sowjetischem Einfluss zunehmend. Moskaus Hoffnung, das Land würde einen Weg zum Sozialismus einschlagen, erfüllt sich nicht. Stattdessen orientiert sich Israel immer stärker an den USA. Der latente Antisemitismus, versteckt hinter der Maske des Antizionismus, prägt in den 1950er-Jahren die Politik der kommunistischen Machthaber. Moskau und Prag sprechen von einer Bedrohung des Sozialismus durch eine «Verschwörung des jüdischen Imperialismus». Im November 1952 sitzen in Prag 14 Männer, Funktionäre der kommunistischen Partei, auf der Anklagebank. Elf von ihnen sind jüdischer Herkunft und, wie die Ankläger behaupten, «Spione des US-Imperialismus und Agenten des Zionismus». Am Ende dieses monströsen Schauprozesses werden elf Todesurteile gefällt und am 3. Dezember 1952 vollstreckt. Die Leichen der Verurteilten werden verbrannt, die Asche an einem unbekannten Ort verstreut. Unter den Opfern ist der ehemalige Generalsekretär der Kommunistischen Partei, Rudolf Slánský, der als Kopf der angeblichen Verschwörung galt. Den ganzen Prozess und die erzwungenen Geständnisse der Angeklagten überträgt der staatliche Rundfunk. Wieder geht Angst unter den Juden im Land um. Kaum einer traut sich zu dieser Zeit, offen über sein Judentum zu sprechen. Die jüdische Herkunft wird zu einer privaten Sache, die in der Familie bleibt. Das Regime zwingt die jüdischen Bürger zur Assimilation. Viele ändern aus Furcht vor Benachteiligung oder Verfolgung ihre jüdisch klingenden Namen. Eva Fleischmannová nicht. «Ich war und bin für immer eine Jüdin, auch wenn ich auf unsere Tradition und unseren Glauben nicht mehr achtete. Wie sollte ich das auch, wenn wir nicht einmal koschere Lebensmittel kaufen konnten und in Dunajská Streda kein Rabbiner war?» Eva ignoriert die Politik. Das Leben ist schon so schwer genug. Sie und ihr Mann müssen hart arbeiten, um ihren Kindern wenigstens einen bescheidenen Lebensstandard zu sichern. Während Lázár als Fahrer für eine Bierbrauerei auch an den Wochenenden viel zu tun hat, arbeitet Eva in drei Schichten in einer Konservenfabrik. In den 1960er-Jahren bringen Reformen den tschechoslowakischen Juden Erleichterung. Der Antisemitismus der 1950er-Jahre wird offiziell verurteilt, die Opfer des Slánský-Prozesses rehabilitiert. Reisen ins Ausland sind jetzt wieder möglich. Aber 1962 stirbt Evas Mann Lázár, und sie bleibt mit ihren Kindern allein. Heiraten wird sie nie wieder. Marika und Peter sind alles, wofür sie lebt, mehr braucht sie nicht. Warum sollte sie jetzt, nach so langer Zeit, noch fortgehen. So erlebt sie 1968 die gewaltsame Unterdrückung des Prager Frühlings und die erneut antisemitische Politik der Kommunisten. Eva lässt sich davon nicht einschüchtern. Sie will keine Angst mehr haben. Die würdevolle Ausstrahlung der zierlichen Frau, die sich nie in den Vordergrund spielt, beeindruckt mit den Jahren alle Menschen in der Kleinstadt, die ihre Bekanntschaft machen werden. Aber Marika und Peter kennen ihre Mutter noch viel besser. Sie erfahren sie als eine starke und stolze Frau, die sie mit viel Liebe, Lebensweisheit und Humor ins Leben hinaus begleitet. Wenn Marika weinend von der Schule heimkommt, weil ihre Freundinnen sie im Streit als «schmutzige Jüdin» beschimpft haben, dann findet die Mutter erlösende Worte. Nur von der Vergangenheit wird sie ihren Kindern nicht erzählen. Von ihrem Schmerz spricht Eva nie, den nimmt sie auf ihre Spaziergänge durch Dunajská Streda mit. Jeden Morgen um sechs Uhr, wenn die meisten Nachbarn noch schlafen, schlüpft sie in ihre Turnschuhe und geht aus dem Haus. 45 Minuten will sie allein und ungestört sein, mit sich und ihren Erinnerungen.
1966 sind die Rosenthals nach Toronto umgezogen. Sie eröffnen in der Nähe ihres Hauses «Miriams Bookshop». Manchmal überfällt Miriam noch die Sehnsucht nach dem Zuhause ihrer Kindheit, den heißen Sommertagen auf dem Gutshof, dem Winter in Komárno, der Donau, über die Nebelschwaden hinwegziehen, dem Schein des Kerzenlichts, in dem ihr Vater Jenö zum Sabbat aus der Thora liest. «Wie könnte ich jemals
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