Geboren im KZ: Sieben Mütter, sieben Kinder und das Wunder von Kaufering I (German Edition)
Slowakei, einem Land, das an der Seite Nazideutschlands stand und seine jüdischen Bewohner in die Vernichtungslager deportieren ließ, ist auch jetzt noch ausgesprochen feindselig. Nur wenige in der Stadt zeigen Mitgefühl mit dem Leid der Überlebenden. «Es sind mehr Juden gekommen, als weggebracht wurden, solche Sätze haben wir uns oft anhören müssen.» Nur 110 Kilometer von Dunajská Streda entfernt, im westslowakischen Topol’čany, kam es am 24. September 1945 sogar zu einem Pogrom, ausgelöst durch Gerüchte, Juden würden eine katholische Schule übernehmen wollen. Ein jüdischer Arzt, der in einer Klasse gerade nichtjüdische Kinder gegen Windpocken impfte, bot dem Pöbel ungewollt einen Vorwand für den Angriff. Schaut hin, wie er unsere Kinder quält, schrien die Christen. 48 Juden, die mit großem Glück das Morden der Nationalsozialisten überlebt hatten, wurden an diesem Tag in der Kleinstadt von einer wütenden Menschenmasse verfolgt und geschlagen, bis sie verletzt auf dem Boden lagen. Der Krieg war vorbei, aber die Menschen hatten sich nicht verändert. Auf der Straße von Dunajská Streda begegnet Eva ehemaligen Gendarmen, die jetzt tschechoslowakische Polizeiuniformen tragen, sie trifft auf die Hebamme, die sie damals, im Getto, auf so demütigende Weise durchsucht hat. «Marika grüßte lange Jahre diese Frau auch noch höflich, wie es Kinder bei Erwachsenen so machen. Als sie älter wurde, erzählte ich ihr, was sie mir einst angetan hatte. Sie hörte damit sofort auf.» Alle diese Leute leugnen vehement, jemals Grausamkeiten an Juden verübt zu haben. Anfangs versucht Eva noch, ihren nichtjüdischen Nachbarn von den Lagern zu erzählen. Aber die wollen nichts davon hören oder halten sie gar für verrückt. Niemand, der nicht dort war, wird das jemals verstehen. Wie soll sie hier weiterleben?
Als Eva wieder nach Komárno fährt, ist Miriam schon weg. Sie hatte ihrer Schwester Ella geschrieben, die seit 1939 mit ihrer Familie in Kanada lebt. Ellas Mann hatte gerade noch als Landwirt, einer bevorzugten Berufsgruppe, Aufnahme in dem Land mit seinen restriktiven Immigrationsgesetzen gefunden. Zwischen 1933 und 1945 wurden von Kanada weniger als fünftausend jüdische Flüchtlinge aufgenommen. 1939 wiesen die Behörden den Passagierdampfer St. Louis mit knapp eintausend jüdischen Flüchtlingen ab, ein Großteil dieser Menschen wurde von den Nationalsozialisten ermordet. Der kanadische Premier Mackenzie King betrieb eine Einwanderungspolitik nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten, wollte aber vor allem keine Juden ins Land lassen. In der Bevölkerung waren antisemitische Gefühle verbreitet. «No Jews, Niggers or Dogs» stand in den 1930er-Jahren auf Schildern an Badestränden. Berichte über den Judenmord in Europa ließen zwar die antisemitische Stimmung abklingen, aber sie blieb latent vorhanden. Die kanadische Regierung will auch nach Kriegsende eine größere Einwanderung jüdischer Displaced Persons verhindern. Miriam und Béla bekommen keine Papiere für Kanada, reisen deshalb zuerst nach Frankreich. In Paris sind Miriams Bruder Mendi und ihr Schwager Josef Fleischmann, die vor dem Krieg nach Kanada ausgewandert waren, bereits eingetroffen. Ihr Bruder verschafft ihr eine Arbeit in einem Waisenhaus bei Barbizon. 40 jüdische Kinder, deren Eltern deportiert wurden und seitdem verschwunden sind, sind dort untergebracht. Miriam wäscht, putzt, kocht und betreut die Waisen. «Abends brachte ich die Kinder ins Bett, sprach ein paar Worte Französisch mit ihnen, küsste sie und weinte danach.» Auch in diesem Land ist überall Schmerz. Was zählt vor diesen Kinderaugen schon die herrliche Landschaft und das besondere Licht Barbizons. Hier, 50 Kilometer südlich von Paris am Rand des Waldes von Fontainebleau, entstanden um 1830 große Werke der europäischen Landschaftsmalerei, die auch die Künstlerkolonie Dachau beeinflussten, bevor die Nationalsozialisten im März 1933 dort das erste ständige Konzentrationslager errichteten. Für Miriam ist Barbizon der Ort der verlassenen Kinder. Jeden Tag liest sie in dem kleinen Gebetbuch, das ihr ein amerikanischer Soldat nach der Befreiung in Dachau geschenkt hat. Der Plan, über die Vereinigten Staaten von Amerika nach Kanada zu gelangen, scheitert. Die USA weisen sie ab. Zehn lange Monate müssen sie warten, jeden Tag sich auf der Präfektur melden, bis Mendi Schwartz gefälschte Visa für Kuba kaufen kann. Béla und Miriam schiffen sich in Le
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