Geboren im KZ: Sieben Mütter, sieben Kinder und das Wunder von Kaufering I (German Edition)
erreichen die Rosenthals Kanada.
Wütend fegt der Chef mit einer Hand den Mantel vom Nähtisch. Wieder hat Miriam etwas falsch gemacht. Sie ist gekündigt und hätte doch so dringend das Geld für eine eigene Wohnung gebraucht. Noch wohnen sie bei Ella. Der Metzger schimpft Miriam, dass sie als Jüdin noch nicht einmal Jiddisch spreche. Miriam läuft weinend nach Hause. Sie und Béla, der eine Arbeit in einer Matratzenfabrik gefunden hat, verdienen zusammen 20 Dollar die Woche. Es sind harte Jahre in dem fremden Land, dessen Sprache sie rasch lernen müssen. Von Deportation und KZ-Haft erzählt sie niemandem, nicht einmal ihrer Schwester Genaueres. Die Menschen in diesem freien Land hätten es nicht verstanden. Aber Kanada ist nun auch ihre Zukunft. «Jeden Tag dankte ich Gott, dass ich in diesem schönen Land sein durfte.» Die Juden sind frei, können ohne Angst durch die Straßen, zur Synagoge gehen, sagen, was sie denken, ein Leben als Menschen führen. «Ich konnte ein ganzes Brot kaufen, im Supermarkt gab es alle nur erdenklichen Nahrungsmittel und sogar spezielles Futter für Katzen und Hunde.» In Timmins, einer Kleinstadt in der Provinz Ontario, arbeitet Béla als Rabbiner, nach einem Jahr ziehen sie nach Sudbury. Zu dieser Zeit trifft irgendwann ein Brief aus Europa ein. Heinrich Reichsfeld, der ehemalige Kapo in Płaszow, hat ihr geschrieben. Die Adresse Miriams hat er, wie sie vermutet, über das Rote Kreuz herausgefunden. Reichsfeld erkundigt sich nach ihrem Schicksal und schreibt von seinen tiefen Gefühlen für sie – aber für Miriam beschwört der Brief nur die Schrecken der Vergangenheit herauf. Doch das Leben geht weiter. László, der jetzt Leslie heißt, bekommt eine Schwester, Lilian, die 1948 geboren wird. Acht Jahre später, 1956, kommt Murray zur Welt. Die Eltern erziehen die Kinder im orthodoxen Glauben.
Eva muss heiraten. Das sieht sie ganz klar. Sie braucht für ihr Kind einen Vater, außerdem will sie nicht länger in Rezsös Haus wohnen. Sie empfindet sich nur noch als Last für ihn und seine Frau. Nach all dem Leid hofft sie nicht mehr auf Glück, aber ein ruhiges Leben will sie führen, in dem sie nicht mehr so viel kämpfen muss. Jüdische Überlebende, die entwurzelt und einsam ohne Familien waren, haben oft rasch wieder geheiratet. Auch für Eva steht außer Frage, dass ihr künftiger Mann Jude sein muss. Nur jemand, der wie sie die Verfolgung überlebte, kann ihre innere Leere verstehen. Im Sommer 1947 heiratet sie den 20 Jahre älteren Lázár Fleischmann. Die bescheidene Hochzeit findet im Garten der Stecklers statt. «Ich kannte ihn schon früher vom Sehen. Er war Witwer, seine Frau und Tochter wurden in Auschwitz ermordet. Eines Tages sprach er mich auf der Straße an. Es dauerte nicht lange, und wir beschlossen zu heiraten.» Nach der Hochzeit zieht Eva mit ihrer Tochter in sein kleines Haus ein. Die zweieinhalbjährige Marika gewöhnt sich schnell an den freundlichen und zurückhaltenden Mann, der sie gleich adoptiert. Eva und Lázár schmieden Pläne für ihre Emigration nach Palästina, ab 1948 Israel.
Eva mit ihrem Ehemann Lázár Fleischmann und Marika, kurz nach der Hochzeit. Dunajská Streda, Tschechoslowakei, Sommer 1947
Die Auswanderung dauert mit Zustimmung der offiziellen tschechoslowakischen Stellen noch bis 1949 an. Im Februar 1948 übernehmen in der Tschechoslowakei die Kommunisten die Macht. Das Land verfolgt zunächst eine freundliche Politik gegenüber dem neu gegründeten Staat Israel. Am 19. Mai 1948, fünf Tage nach seiner Entstehung, erkennt die Tschechoslowakei als vierter Staat der Welt Israel an. Gleichzeitig ist sie der wichtigste Waffenlieferant des neuen Staates, der sofort nach seiner Gründung von arabischen Armeen angegriffen wird und schon in seiner Existenz gefährdet ist. Eva und Lázár sprechen täglich darüber, ob und wie sie das Land verlassen sollen. «Ende 1948 hatten wir schon alle Ausreisepapiere. Ida und ihr Mann lebten damals in Israel und wollten uns helfen. Aber wir waren sehr arm, und vor allem, mein Mann war nicht gesund. Er kam aus dem Lager mit Typhus zurück, war schwach und kränklich.» Für einen Neuanfang fehlt Lázár die Kraft. Das Paar entscheidet sich, vorerst zu bleiben. Außerdem ist Eva hochschwanger. Nach einer Fehlgeburt, die sie ein Jahr davor erlitten hat, kommt das Kind diesmal tot zur Welt. «Ich ging fast mit meinem Kind. Es war schon seltsam. Im Lager, in diesen schlimmen Verhältnissen, konnte ich
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