Gebrauchsanweisung für China (German Edition)
japanische Austauschstudenten zu spüren, die an der Nordwest-Universität in Xi’an einen Sketch aufführten, bei dem sie ausgestopfte rote BHs über ihren T-Shirts trugen. Der Sketch, der nach Auskunft der Japaner mit einer Freundschaftserklärung an China hätte enden sollen (sie hatten auf die Rückseite ihrer T-Shirts geschrieben »Japan liebt China« und »China liebt Japan«), wurde vom aufgebrachten Publikum unterbrochen. Schnell machte das Gerücht die Runde, die ri ben gui zi , die japanischen Teufel, hätten sich über China lustig gemacht, und tausend chinesische Studenten zogen über den Campus, Japaner jagen. Hernach marschierten sie in die Stadt und belagerten dort japanische Restaurants. Solch hässliche Szenen wiederholten sich 2005, diesmal mit einem viel größeren Mob, in Hangzhou und Schanghai.
In Chinas Schulen, Universitäten und Massenmedien wird die jüngere Geschichte des Landes noch immer gelehrt als eine einzige Abfolge nationaler Demütigungen ( guo chi ): ein endloser Zirkel von Scham und Schande, aus dem nur die weise Führung der KP einen Ausweg weist. Warum das beunruhigend ist? Drei lange Jahrzehnte ist Chinas Wirtschaft nur gewachsen, aber auch China kann nicht ewig den Gesetzen der Schwerkraft trotzen. Irgendwann kommt die Rezession – und was passiert dann? Wie werden die Kommunisten von der Krise abzulenken versuchen? Es gibt heute junge Chinesen, die halten einen Krieg mit den USA für unausweichlich.Weil sie so die Insel Taiwan ins heilige Vaterland zurückholen möchten. Weil die USA China seinen Aufstieg nicht gönnen.
Das ständige Herunterbeten der Demütigungen Chinas durch das Ausland in den letzten eineinhalb Jahrhunderten geht seit Maos Tod Hand in Hand mit der ebenso instrumentalisierten Verherrlichung dessen, was man unter Mao noch in Stücke geschlagen und in die Fäkaliengrube geworfen hatte, nämlich des eigenen kulturellen Erbes: Wieder nimmt man Zuflucht bei der alten Versicherung, dass man im Prinzip schon immer allen überlegen war (und bei der unausgesprochenen Übereinkunft, dass man es im Kern eigentlich immer noch ist und dass die Welt es schon bald wieder merken wird).
Hierzu gehört das oft amüsante, auf Dauer aber ermüdende Bemühen der roten Patrioten, ständig belegen zu wollen, dass die Chinesen immer und überall die Ersten waren: Den Fußball und den Golfsport haben sie schon als chinesische Kulturleistung reklamiert, bald werden sie in Xi’an ein Snowboard aus der Han-Zeit ausgraben. Und wenn das Raumschiff »Chang’e« eines Tages wirklich zum Mond fliegt, dann wird es Bilder zur Erde funken von dem Ming-Beamten und Sternennarr Wan Hu, der sich im 14. Jahrhundert ins All schießen ließ, mit einem Stuhl, an dem 47 mit Schwarzpulver gefüllte Bambusraketen befestigt waren: Wan Hu wird da sitzen und 600 Jahre alte selbst gebraute Coca-Cola trinken und live im Staatsfernsehen erzählen, wie das war 1969, als er einen gewissen Neil Armstrong willkommen hieß und ihm dazu gratulierte, der zweite Mensch auf dem Mond gewesen zu sein.
Solches Bemühen ist natürlich umso ertragreicher, je länger sich die chinesische Geschichte zurückverlängern lässt. Bis zur kommunistischen Revolution war es unter Chinas Gelehrten üblich, von der »dreitausendjährigen Geschichte Chinas« zu sprechen. Die KP hat es geschafft, in nur 50 Jahren Herrschaft zwei ganze Jahrtausende draufzulegen (eine Leistung, die allerdings die Nazis in Deutschland noch übertroffen haben: Die schufen ihr 1000-jähriges Reich in gerade mal zwölf Jahren)– und so bringt mittlerweile kaum ein Redner in China den Mund mehr zu, ohne zuvor den heiligen »5000 Jahren« seine Huldigung erwiesen zu haben. Als Ergebnis eines archäologischen Kraftaktes darf sich die Behauptung mittlerweile wissenschaftlich untermauert nennen: Von der Regierung bestellte Archäologen und Historiker entdeckten nämlich genau das, was die Regierung schon vorher wusste. Puh! China gebietet von nun an also auch offiziell über »5000 Jahre Gartenkultur« ebenso wie über »5000 Jahre Sport in unserem Land« (alles Zitate aus chinesischen Zeitungen). Selbstredend lassen sich auch die anderen Markenzeichen chinesischer Kultur – Tee, Seide und Jackie Chan – auf dieses Alter datieren, wobei die frühen Kung-Fu-Filme des Jackie Chan zu Recht in Vergessenheit geraten sind. 5000 Jahre Geschichte sind Anlass zu großem Stolz, oft aber auch ein rechtes Kreuz: Dann werden sie vom Gesprächspartner unter großem
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