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Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Titel: Gebrauchsanweisung für China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Strittmatter
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Tibet finden. Die populären chinesischen Suchmaschinen wie Baidu oder Sogou blockieren die Suche nach Wörtern wie »4. Juni« (Tag des Tiananmen-Massakers) oder, merkwürdigerweise, »gelbe Gefahr«. Eine Suche nach Begriffen wie »Demokratie« oder »Menschenrecht« funktioniert augenscheinlich – führt jedoch ausschließlich auf offizielle Webseiten wie jene der Regierung in Peking, wo man informiert wird, dass »Menschenrechte in China besonderen politischen Schutz genießen«. Eine Suchmaschine mag eine Trefferzahl angeben wie zum Beispiel »53200000« bei der Suche nach dem Wort »Demokratie« – wenn man die einzelnen Links dann durchgeht, ist jedoch nach ein paar Hundert zensierten Webseiten Schluss. Die Liste der blockierten Webseiten ändert sich ständig, auch die Tabuwörter werden regelmäßig aktualisiert. Wenn zum Beispiel in einer Kohlegrube wieder einmal Hunderte von Bergleuten ums Leben gekommen sind, dann werden die Namen von Grube und Stadt gesperrt. Manchmal schweben die virtuellen Beamten Jingjing und Chacha auf einer fliegenden Maus herbei, um den Sucher zu ermahnen.
    All diese Hürden wären jedoch zu umgehen: etwa mithilfe von kostenlos zugänglichen Proxyservern oder sogenannten VPN (virtuellen privaten Netzwerken), die gegen eine Abogebühr verschlüsselten Datenverkehr mit dem Ausland erlauben. Und doch macht das kaum einer. Die einen, weil es ihnen zu mühsam ist. Die anderen, weil Einschüchterung und soziale Kontrolle funktionieren: Man weiß, dass man überwacht wird. So hat die lückenhafte Zensur eine viel effektivere Selbstzensur zur Folge.
    Viele Chinesen, vor allem in der Stadt, haben heute das Gefühl, so viel Freiheit zu genießen wie nie zuvor. Auch in der Informations- und Bilderflut des gesäuberten chinesischen Internets kann man noch hundertmal ersaufen. Und tatsächlich findet online so viel Debatte statt, wie es das nie gegeben hat in der Geschichte des Landes. Mit der Tatsache, dass es eine gelenkte Debatte ist (die Regierung beschäftigt zigtausende Auftragsschreiber, die in Blogs und Foren unermüdlich Beiträge und Kommentare absetzen), haben sich die meisten Nutzer abgefunden. Gleichzeitig hat die Regierung bestimmte Themen erfolgreich aus dem öffentlichen Gedächtnis gelöscht und aus der öffentlichen Wahrnehmung verbannt. Von vielen Dingen, die die Diskussionen im Westen bestimmen, wissen junge Chinesen – selbst solche, die sich als kritisch einschätzen – einfach nichts. Nichts von der Rolle ihres Landes als Waffenlieferant an die Regime im Sudan und in Burma. Nichts von der Kontroverse um den Dreischluchtendamm. Nichts von den nächtlichen Verhaftungen Andersdenkender. Nichts von der Geschichte Taiwans oder Tibets, was von der großchinesischen Propaganda abweicht.
    Als das Internationale Olympische Komitee von Peking den versprochenen freien Zugang zum Internet während der Olympischen Spiele verlangte, da waren die Vorbereitungen längst getroffen: Die Internetpolizei hatte Anweisungen erhalten, die Zugänge freizuschalten in sämtlichen Hotels, Internetcafés und Treffpunkten, die von ausländischen Journalisten, Besuchern und Sportlern besucht werden. Nur dort und nur für die Dauer der Spiele. Dem großen Bruder liegt daran, dass die Ausländer ihn nicht bemerken.

 

Nationalblume
     
     
    Sei die Päonie, denken die meisten Chinesen. Stimmt aber nicht: China hat gar keine Nationalblume, keine amtlich abgestempelte zumindest. Was eine Schande ist, wenn wir Professor Chen Junyu folgen, der eine Debatte zu dem Thema losgetreten hat. Professor Chen behauptet, China sei die »einzige große Nation ohne Nationalblume«, und drängt auf das Ende einer »chaotischen Situation«, welche mal die Päonie und mal die Pflaumenblüte in der Gunst des Volkes vorne sieht. Die Päonie (auch: Pfingstrose) war Lieblingsblume vieler Kaiser: Sie steht für Reichtum und Vornehmheit, in Gedichten symbolisiert sie oft ein junges Mädchen – wenn »Tau auf die Päonie tropft« auch mehr. Ihre Nebenbuhlerin, die volkstümliche Pflaume, blüht schon in kalten Wintermonaten und wäre somit die Poesie gewordene Verkörperung der Zähigkeit dieses Volkes. Ein frustrierter Chatroom-Benutzer fand Symbolisches in der Debatte selbst: »Dass wir Dutzende von Jahre fruchtlos herumdiskutieren – auch das ist ein chinesischer Charakterzug.« Zynische Reaktionen auf die Debatte gab es nicht wenige. »Was nützt es uns, wenn unsere Blume zehnmal schöner ist als die der USA

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