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Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Titel: Gebrauchsanweisung für China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Strittmatter
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–können wir uns davon satt essen?«, fragt einer im Internet. Ein Zweiter spricht von »Idiotenträumen«, ein Dritter schließlich ruft auf zur »Wahl einer Nationalhenne«. Amerika hat sich übrigens die Rose ausgeguckt, der Bundesstaat Texas rang sich sogar zu einem Nationalgemüse durch: einer Zwiebel. Der deutsche Sprachgebrauch schließlich kennt den Nationaltrainer und das Nationalgebräu, eine Blume allerdings ist auch uns noch nicht eingefallen. Was ja auch etwas bedeuten wird.

 

Alles gefälscht.
Oder: Die Schwindlerrepublik
     
     
    Unter jungen Chinesen in Schanghai und Peking machte eine E-Mail die Runde, die überschrieben war mit dem Seufzer »Warum wir in den Siebzigerjahren Geborene in der Patsche sitzen«. »Als wir klein waren, hat man uns beigebracht, aufrichtige Kinder zu sein«, begann der Text. »Seit wir aber erwachsen sind, können wir gar nicht anders, als gefälschte Zigaretten zu rauchen, falschen Wein zu trinken und heuchlerische Rede zu führen. Wir fallen auf Leute mit gefälschten Diplomen herein und setzen unsere Unterschrift unter gefälschte Quittungen. Das Schlimmste ist: Selbst die Fußballspiele, die wir zu sehen bekommen, sind Schiebung.«
    Dieses Unbehagen junger Chinesen teilen auch Ausländer, und das nicht erst, seit die in Hongkong herausgegebene »Far Eastern Economic Review« hinter dem Staatskürzel PRC die »People’s Republik of Cheats« vermutete: die Schwindlerrepublik China. »Die Chinesen sind sehr raffiniert in der Imitation«, schreibt ein Reisender aus Portugal, durchaus beeindruckt. »Was auch immer aus Europa sie in die Hände bekommen, das imitieren sie bis zur Perfektion. In der Provinz Kanton haben sie Dinge so exakt nachgeahmt, dass sie sieim Rest des Landes als europäische Waren verkaufen.« Der Name des Reisenden ist Domingo Navarette, er war Dominikanerpater – und in China unterwegs von 1659 bis 1664.
    Die Klage ist also nicht neu – und doch war sie nie so laut wie heute. Draußen wie drinnen. Kaum ein Wort hört man in Diskussionen mit chinesischen Intellektuellen und Künstlern so oft wie Jia , das den doppelten Boden in all seinen Schattierungen meint: Jia ist Falsches, Gefälschtes, Kopiertes, Geheucheltes und Vorgegaukeltes. Das Fake ist zu einem der Leitmotive dieses Landes im Übergang geworden, wie das viel bestaunte Wachstum, wie der unbeirrte Geist des Wandels selbst – eine der wenigen Konstanten im turbulenten Drunter und Drüber: Alles fließt, alles sprießt, nichts ist, wie es scheint. China: Land der unbegrenzten Möglichkeiten, Reich der unverschämten Piraten und Simulanten, Heim der ungezählten potemkinschen Dörfer.
    Die Zuspitzung hat vor allem zwei Gründe: die Globalisierung des Warenverkehrs und die politische Struktur des Landes. Die Moderne also und den Anachronismus – vor allem die merkwürdige Koexistenz der beiden; eine Überlagerung, die den an den Gesetzen der Logik und der Eindeutigkeit geschulten, also ebenso knochentrockenen wie prinzipientreuen Mitteleuropäer recht fremd anmutet: Zwar schnappen die zwei – das Gestrige und das Morgige – in diesem Land schon mal mit gefletschten Zähnen nacheinander, doch mindestens so oft erlebt man sie in erstaunlicher Eintracht aneinander geschmiegt oder ineinander verknäuelt. Manchmal springt einen die Absurdität dieser Komödie direkt an, dann wieder verlangt sie den geschulten Zuschauer.
    Vertraut ist dem Abendländer das Abkupfern von Rolex, Goretex-Anorak und Herr-der-Ringe-DVD, da ist er immer häufiger selbst Akteur: als unfreiwilliger Helfer wie als williger Kunde. Sechs von zehn Fälschungen, die in der Europäischen Union 2010 beschlagnahmt wurden, stammen aus China, bei gefälschten Schuhen waren es 90 Prozent. Nicht zuletzt deshalb,weil China zur Werkstatt der Welt geworden ist – und die Blaupausen für die Originale mittlerweile frei Haus geliefert bekommt. Zur Vordertüre gehen die von Nike bestellten und in China ordnungsgemäß fabrizierten Turnschuhe hinaus in die Welt, an der Hintertüre warten die Händler des »Yaxiu-Markts«, des bei Touristen wie Diplomatengattinnen gleichermaßen beliebten Raubkopienparadieses Pekings. Manchmal wartet auch ein leibhaftiger Außenminister: Italiens Franco Frattini wurde eines schönen Oktobertages von Journalisten dabei erwischt, wie er in Peking eine gefälschte Rolex erwarb. Was der Minister in Peking machte? Er war angereist zum EU-China-Gipfel, auf dem die EU den Schutz des geistigen Eigentums in

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