Gebrauchsanweisung für China (German Edition)
Kategorie im chinesischen Fernsehen: Tanzende Proletarier haben im Abendprogramm ihren Stammplatz neben Polizisten im blauen Tutu und Soldaten in camouflagefarbenen Ballettstrümpfen, die auf der Bühne Schlachten nachtanzen (sowohl Polizei als auch Volksbefreiungsarmee haben eigene Gesangs- und Ballettgruppen, aus deren Reihen schon Mao Zedong gerne Bettgenossinnen rekrutierte). Diese hier begannen ihre Show, indem sie gemeinsam neckisch die rechten Gummistiefel lüpften, als stünden sie auf der Bühne des Moulin Rouge, nur etwas rheumatischer. Dazu sangen sie ungelogen: »Ramtatam, Ramtatam. Nach Tibet fährt ’ne Eisenbahn.« Anschließend tanzten sie eine Eisenbahnerpolka. In Zeitlupe, weil: Schwerstarbeit, Permafrost, schon klar. Kein Kabarett war das,sondern eine feierlich gemeinte Hymne an den Aufopferungswillen von Arbeitern und Ingenieuren unter Führung der großartigen Kommunistischen Partei um der unzerstörbaren Einheit der chinesischen Volksgruppen willen. (»Die Kommunistische Partei ist wie Vater und Mutter zum tibetischen Volk, sie kümmert sich um alle Bedürfnisse ihrer Kinder. Die Partei ist der wahre Buddha der Tibeter«, so die frohe Botschaft des – chinesischen – Parteisekretärs der Autonomen Region Tibet, Zhang Qingli. Und der Dalai Lama? Ist »ein Wolf in Mönchskutte, ein Teufel mit dem Gesicht eines Menschen und dem Herzen einer Bestie«.)
Ich habe das Gummistiefelballett gerne gesehen, es war eine schöne Abwechslung zu all den ordenbehängten Tenören und Sopranistinnen von der Volksbefreiungsarmee, die sonst das Programm verstopfen: Für gewöhnlich stehen diese knödelnden Weihnachtsbäume pathosschwanger und in voller Uniform vor einer Videowand voller startender Düsenjäger, blicken unter heroisch gezückten Augenbrauen in eine nicht näher definierte Ferne und bejodeln die süße Liebe des Vaterlands, für das sie so gern Leib und Leben gäben. Das möchte man doch mal erleben: ob diese Offizierstroubadoure unter feindlichen Truppen auch so viel Schaden anrichten wie auf den Sofas der Heimatfront.
Der Sozialismus hat also das happy ending eingeführt in China, und er freut sich darüber so, dass er es nicht eifersüchtig für sich behält, sondern großzügig weiterverteilt an Künstler, denen es auf Teufel komm raus nicht einfallen wollte. Für den populären Hongkonger Actionthriller »Internal Affairs« etwa (in Hollywood nachgedreht von Martin Scorsese unter dem Titel »Departed: Unter Feinden«), der um die Rivalität zwischen einem korrupten Polizisten und einem aufrechten, in Gangsterkreise eingeschleusten Undercoveragenten kreist, wurden zwei Schlussszenen gedreht: In Hongkong behält der Böse die Oberhand, und in Chinas Kinos gewinnt, na, wer halt immer gewinnt im Märchenland.
Die Propaganda der KP ist oft so offensichtlich absurd, gleichzeitig so unverdaulich formuliert, dass es leicht wäre, sich über sie lustig zu machen und für unerheblich zu halten. Ist schließlich ein neues China, oder? Wo die Leute bei Starbucks ihren Kaffee trinken und nebenher drahtlos ins Internet gehen. Wo sich die Jungen für Sex, Essen, Geld und Konsum interessieren, nicht aber für Politik. Bloß: So einfach ist es nicht. Es ist mitunter erstaunlich, welche Macht die Erklärungsmuster dieser Partei heute noch ausüben, auch über Menschen, die sich kritisch oder gar zynisch über die KP äußern. Dass keiner mehr an den Kommunismus glaubt in diesem Land, ist unbestritten. Aber beginnen Sie einmal eine Diskussion über Tibet oder Taiwan mit dem jungen Geschäftsmann, den Sie eben noch für intelligent, witzig und offen hielten, und Sie werden schnell merken, was ich meine. Lehrreich ist ein Blick auf die Debatten in Chinas Onlineforen nach dem Blutvergießen in Tibet im Frühjahr 2008. »Wer hat euch denn all das Geld vom Vaterland geschickt?«, fragt einer fassungslos die Tibeter: »Habt Ihr das alles vergessen?« Ein anderer meinte, die Regierung tue gut daran, »diesen Krebstumor herauszuschneiden«. Ein dritter warnte die Tibeter: »Wenn Ihr euch schlecht benehmt, dann nehmen wir Eure Kultur und stecken sie ins Museum.« Ein Blogger klagte mit Blick auf die scharfe Kritik aus Europa und den USA, Ausländer seien alle »gehirngewaschen«. Und einer schrieb: »Warum reden wir hier überhaupt? Separatistischer Müll gehört getötet. Und wenn wir eines Tages Demokratie haben, dann will ich die Nationalisten an der Macht sehen.«
Was das zeigt? Erstens: Propaganda funktioniert.
Weitere Kostenlose Bücher