Gebrauchsanweisung für die Welt
den Gutmenschen, der blindwütig nur auf die »inneren« Werte schaut. Wir anderen sind nicht so gut und schauen auch auf die äußeren. Wer diese kleine Weisheit begriffen hat, reist intelligenter. Denn er/sie weiß um die Spielregeln der Welt. Und spielt mit ihnen.
Ich denke nicht daran, jetzt eine Liste der Siebensachen zu veröffentlichen, die jeder einpacken soll. Welche Pickelcreme, welches Durchfallmittel, welche Zahnspange, welche Sockenfarbe (wenn Socken denn sein müssen), ob Angorawäsche oder Armani-Unterhosen, ob Sombrero oder Schiebermütze. Jeder muss selbst herausfinden, was zu ihm passt und was nicht.
Aber ich will etwas über den intimsten Feind des Reisenden sagen. Ich rede jetzt zu dem, der allein reist, ohne Begleitschutz, ohne Freundin, ohne Freund, ohne den Leithammel einer Gruppe. Behaupte ich doch, dass die Erfahrungen eines Einzeltäters (meist) intensiver sind, bisweilen delikater, auch aufreibender. Fest steht: Alle, die sich unbewacht auf den Weg machen, werden von erster Stund an von einem Gespenst beschattet, das sich als hartnäckiger Gegner erweist: der Einsamkeit. Gegen sie heißt es sich wappnen.
Zu Hause kann man Einsamkeit kompensieren, sie besänftigen, sie zerstreuen. Man kann Freunde anrufen, ins Kino rennen, in die nächste Pizzeria, die Glotze aufdrehen, Pornoseiten anschauen, sich volltanken. Die Einsamkeit geht dann nicht weg, aber sie nagt weniger stechend. Alles das kann der Reisende oft nicht. Ist er einsam, liegen die Freunde längst im Bett. Am anderen Ende der Erdkugel. Kein Cinema weit und breit. Keine Ablenkung, nirgends ein Schluck Schnaps.
Hier nun das absolut notwendige Rüstzeug, um es mit ihr aufzunehmen. Erstens: Ein MP3-Player muss in den Ranzen. Mit den Liedern, die das Herz befeuern. Zweitens: ein Weltempfänger-Radio, um Nachrichten von überall zu hören, BBC, Deutsche Welle, Radio France Internationale, Radio exterior de España, was auch immer. Drittens: ein Buch mit Gedanken, um die Unruhe zu beschwichtigen. Viertens: ein Tagebuch und ein Bleistift, die grandiosesten Waffen, um die Einsamkeit mit Sätzen in den Griff zu bekommen, die wie Heilwasser die geschürfte Seele spülen.
Fazit: Fünf kleine Teile (der Stift soll auch zählen), die leichter sind – ich habe sie einmal vor einer Reise abgewogen – als eineinhalb Heineken-Bierdosen. Nur siebenhundertachtzig Gramm für dieses Erste-Hilfe-Paket.
Dabei sollte niemand vergessen, dass Zeiten kommen, in denen sich das Alleinsein wie eine Spritztour auf dem Glücksrad anfühlt, die man wie ein vor Seligkeit trunkenes Rumpelstilzchen genießt: dass niemand uns umzingelt, keiner dazwischenredet, keiner Rücksicht verlangt, ja, man sofort stehen bleiben und bewundern oder sofort unbeeindruckt weitergehen darf. Und dass man keiner Frau und keinem Mann Rechenschaft schuldet, nicht lügen und nicht notlügen muss. Und dass nie die wild drängende Sehnsucht aufkommt, mutterseelenallein sein zu wollen, irgendwo mitten in der Welt, wunderlich verführt von ihrem Glanz und ihren Geheimnissen. Und dass man – hat man nur Witz und Glück – einer Fremden (einem Fremden) begegnen könnte, die über die Tage und Nächte tröstet, in denen man die Nähe eines anderen bitter nötig hat.
Das Umwerfende an den fünf – meist gut aussehenden – Dingen besteht darin, dass man sie bei Bedarf mit jemandem teilen kann: das Radio, die Musik, das Buch, das Tagebuch, den Griffel. Man glaubt nicht, wie Noten und Buchstaben zueinander führen. Auf einer langen Fahrt im Blue Train von Pretoria nach Kapstadt habe ich einmal einer Amerikanerin die englische Version der Liebesgedichte von Bert Brecht vorgelesen, unter vielen das himmlische Als ich nachher von dir ging : »Since we passed that evening hour/You know the one I mean/My legs are nimbler by far/My mouth is more serene …« (Und seit jener Abendstund/Weißt schon, die ich meine/Hab ich einen schönern Mund/Und geschicktere Beine.) Rein zufällig hatte ich den Band am Tag vor der Abfahrt gekauft. »His poems are so beautiful«, sagte die Fotografin irgendwann und folgte mir vom Speisewagen in Compartment 64 , das mir ganz allein gehörte. Dort las ich weiter. Gerechterweise muss noch angemerkt werden, dass nicht ich Rita entzückte, sondern der Dichter. Aber der stand ja nicht mehr zur Verfügung. So sprang ich notgedrungen ein.
Phantastisch, was ein schmales Buch alles kann. Seine vielen Nebenwirkungen klingen bemerkenswert. Es kann den Einsamen
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