Gebrauchsanweisung für die Welt
Stunden später kam der Sonnenuntergang und ein paar Strahlen glitten über die Haut jener Frau, die leise atmend die Augen geschlossen hielt. Sicher spürte sie die Wärme, die langsam über sie hinwegwanderte. Bis auf den heutigen Tag frage ich mich, was in diesen Augenblicken anmutiger war: der Körper des auf dem Boden ausgebreiteten Mädchens oder die Welt, die wie ein Cinemascope-Film vor uns lag.
Bei Einbruch der Dunkelheit machten wir uns auf den Rückweg. Wie Kinder nahmen wir uns bei der Hand. Kein Wort und keine Geste gingen uns daneben. »Wir wollen diesen Tag aufheben«, sagte Wanda irgendwann versonnen, »er soll eine kleine Ewigkeit dauern.« Ja, hundert Mal ja. Wir werden ihn abspeichern und sichern für die Tage ohne Licht, ohne Geheimnis, ohne alle Aussicht auf ein Wunder.
Der Ranzen
Er soll gefüllt sein wie ein Magen nach dem Essen: eben nicht vollgestopft, sondern so, dass durchaus noch etwas Platz hätte. Denn man sieht gleich, dass der Ranzen auf dem Buckel und der Ranzen vorne am Bauch etwas gemeinsam haben: Je schlanker sie aussehen, desto unbeschwerter trägt man sie, desto eleganter sieht einer aus. Denn wer sich hinknien muss, um alles in seinen Tornister zu zwängen, hat die erste Regel des Reisens, die goldenste, schon überhört: Leichtigkeit. Jedes Kilo wiegt nach zehn Kilometern das Doppelte! Und nach hundert das Dreifache! Immerhin wird dem Reisenden bei jedem Schritt klar, dass die Gier eine beschwerliche Untugend ist. Kolossal belastend.
Ich beichte: Immer wieder begegne ich einem, der bescheidener aufgeladen hat als ich. Und nichts als mein Neid bricht aus. Wie bei jedem, der mit weniger Anstrengung daherkommt. Immer will ich einem solchen nacheifern.
Packen als Kontemplation. Bei jedem Teil sich beinhart fragen: »Brauche ich das?« Nicht in dem Sinne, ob es lebensnotwendig ist, sondern: Brauche, sprich, gebrauche ich es? Natürlich benötigt eine Frau keinen Nagellack, um in Australien anzukommen. Aber wenn lackierte Fingernägel ihr Freude bereiten, dann her damit. Denn alles, was den Voyageur hochstimmt, ihm in beschwerlichen Situationen beim Ertragen der Mühseligkeiten hilft, ist von Nutzen und muss unbedingt mit. Besänftigt den einen ein Charlie-Brown-Maskottchen, den anderen das Amulett eines Indianerhäuptlings, den dritten ein daumenkleiner Buddha aus Jade: dann sollen sie mit auf die Reise. Sie alle funktionieren als eine Art Friedensstifter.
Fußnote: Imelda Marcos war nie mit dem Rucksack unterwegs, denn wohin mit ihren sechstausend Paar Schuhen? Trotzdem, ein Reservepaar sollte man einpacken. Denn es kommen Augenblicke, in denen man nicht wie ein Wandervogel auftreten möchte, sondern mit einem Hauch von Stil. Ich hatte eine Freundin, die nahm zum Trekking ihre Stöckelschuhe mit. Sie wollte gerüstet sein. Ich habe sie nie belächelt. Denn immer kam ein letzter Abend, irgendwo in einem Hotel. Und jetzt passten sie. Sie wollte eben beides, wandern und stöckeln.
Frischwäsche wäre nicht schlecht. Wenig, aber frisch. Dazu ein paar Utensilien, um den Körper sauber zu halten. Ich bewundere Zeitgenossen, die nach zehn Wüstentagen mit sauberen Händen in die Zivilisation zurückkehren. Und ohne Mundgeruch. Hygiene, so heißt es im Zen-Buddhismus, hat etwas mit Achtung vor sich selbst zu tun. Und vor anderen, auch klar. Grindige Fingernägel sind eine Zumutung. Ich bin meist so frei, den Schmutzfink auf seinen Zustand aufmerksam zu machen. Ist das zartfühlend? Sicher nicht. Aber mir seine schmuddeligen Pfoten entgegenzustrecken ist es noch weniger. Deshalb: Wer nicht sehen will, muss hören.
Dabei sollte gerade ich meine Zunge hüten. Als ich von Paris nach Berlin wanderte, kam ich bei Kilometer 1070 in Potsdam an. Und näherte mich einem Einwohner, um ihn nach dem Weg zum Obdachlosenasyl zu fragen. Der gute Mann fuhr entsetzt zurück, rief noch entsetzter: »Halten Sie Abstand, Sie verpesten ja die Gegend!« Ich war offensichtlich zu einem Penner verwildert, der sich selbst nicht mehr roch. Freilich war ich seit 33 Tagen unterwegs, vierzig Kilometer täglich, zu Fuß und ohne Geld. Lange schon ohne einen müden Euro für Seife und Deo. O. k., das soll als Ausnahme gelten. Ansonsten mag ich mich und alle anderen lieber, wenn wir geruchlos (oder mit diskreter Duftnote) daherkommen.
Wie im richtigen Leben, so zählt auch im Leben eines Reisenden die Art, wie er sich der Welt präsentiert. Sie kann einiges erleichtern. Diese Einsicht ist ein harter Schlag für
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